16-7-2005

 

»Ich versuche jeden zu retten« , von Wilm Hosenfeld

 

 

 

DIE ZEIT 08.07.2004 Nr.29

Der Verweigerer

Ein Nazi, der zum Retter wurde: Die Geschichte des Wehrmachtoffiziers Wilm Hosenfeld, der den jüdischen Pianisten Władysław Szpilman vor der Ermordung bewahrte

Von Wolfram Wette

Wilm Hosenfeld: »Ich versuche jeden zu retten«

Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern; im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Thomas Vogel; Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004; 1194 S., 29,90 Euro

Der Verlag wirbt für das Buch, indem er an eine Erfolgsgeschichte des Jahres 2002 anknüpft: »Durch Roman Polanskis oscargekrönten Film Der Pianist ist auch der Mann bekannt geworden, dem der jüdische Musiker Władysław Szpilman sein Leben verdankt. Wilm Hosenfeld rettete als Besatzungsoffizier unter Einsatz seines eigenen Lebens viele Menschen vor dem Terror der Nazis.« Davor hatten sich die an Geschichten von Rettern in der NS-Zeit interessierten Leser bereits durch die Autobiografie von Szpilman (Das wunderbare Überleben, 1998) sowie durch einen Beitrag von Dirk Heinrichs (im Band Retter in Uniform, 2002) mit dem ungewöhnlichen Wehrmachtsoffizier Hosenfeld vertraut machen können.

Nun liegt also die Edition der Briefe und Tagebücher Hosenfelds vor. Herausgeber Thomas Vogel, Offizier und Historiker im Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam, beschreibt dessen Leben in einer ausführlichen biografischen Einleitung. Nachdenklich macht deren Titel: Wilm Hosenfeld – ein deutsches Leben. Wenn damit ein typisch deutsches Leben gemeint ist, so mag dies für die ersten Jahrzehnte der Vita dieses Mannes zutreffen. Wilm Hosenfeld wurde im Jahre 1895 als siebtes von neun Kindern geboren. Der Junge erhielt blethende Prägungen durch sein Elternhaus – sein Vater war Lehrer –, durch die Wandervogelbewegung und durch die katholische Kirche.

Im Ersten Weltkrieg meldete er sich als Kriegsfreiwilliger. Er wurde Vizefeldwebel und Offiziersanwärter. Nach dem Kriege ging er, wie sein Vater, in den Schuldienst und engagierte sich in der Reformpädagogik. Da er nationalistisch eingestellt war, trat er nach Hitlers Machtantritt der SA und der NSDAP bei und warb in seinem Einflussbereich als Dorflehrer für Hitler und das NS-Gedankengut. Für den Frontdienst – übrigens zu seinem Bedauern – nicht mehr jung genug, wurde er im Zweiten Weltkrieg mit Etappenaufgaben betraut. Nach der Eroberung und Besetzung der polnischen Hauptstadt Warschau durch Truppen der deutschen Wehrmacht kam Hosenfeld zur dortigen Oberfeldkommandantur, wo er von 1940 bis Herbst 1944 Dienst tat, unter anderem als Leiter der Wehrmachtssportstätten. Rein äußerlich betrachtet, weist seine militärische Laufbahn keine besonderen Merkmale auf. Er wurde im Laufe des Krieges vom Feldwebel zum Hauptmann befördert. Mit dem Vormarsch der Roten Armee geriet er im Januar 1945 in russische Kriegsgefangenschaft, in welcher er 1952 verstarb.

»Der einzige Mensch in deutscher Uniform, dem ich begegnet bin«

Ein typisches deutsches Leben also? Seit Ende der dreißiger Jahre geriet Hosenfeld in ambivalente Situationen, die schließlich zu einer Abwendung vom Hitler-Staat und zu selbst verantwortetem Handeln führten. Dieser allmähliche Wandel begann mit seiner Kritik an den Methoden der Jugendführung in der HJ, setzte sich fort mit seiner Distanzierung vom staatlich verordneten Antisemitismus, der nach seiner Überzeugung gegen die Menschenwürde verstieß, und wurde schließlich irreversthel durch die schockartigen Erlebnisse, welche die Mordtaten von SS und Wehrmacht in Polen 1939/40 und dann in der Sowjetunion bei ihm auslösten.

Diese Entwicklung unterschied ihn gründlich von der großen Mehrheit der Soldaten im Osten, die eben nicht in gleicher Weise aufwachte. Die meisten Wehrmachtsoldaten entschieden den Konflikt zwischen Pflichterfüllung und Gewissen, so er denn auch bei ihnen vorhanden war, nicht im Sinne der Humanität. Sie versuchten nicht »jeden zu retten, der zu retten ist«, wie es Hosenfeld tat. Vielmehr führten sie in Polen und Russland einen Vernichtungskrieg, der an den Fronten, in den besetzten Gebieten und in den Vernichtungslagern viele Millionen von Menschenleben kostete.

Die mit fast 1.200 Druckseiten ungewöhnlich umfangreiche Edition konnte den im Privatbesitz der Familie Hosenfeld befindlichen Nachlass des Wilm Hosenfeld nutzen. Konzeptionell folgt sie der – als Untertitel des Werkes gewählten – Devise, »das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern« sichtbar werden zu lassen. Nachvollziehbar ist die Entscheidung, den Volksschulpädagogen Wilm Hosenfeld der zwanziger und dreißiger Jahre in der Edition zurücktreten zu lassen: »Der historischen Bedeutung Hosenfelds und dem Charakter des Nachlasses angemessen, konzentriert sie sich auf seine Zeit im Zweiten Weltkrieg, ohne sich dabei auf seine Tätigkeit als ›Retter‹ zu verengen.« Dieses Verfahren hat allerdings zur Folge, dass genau jene Ereignisse, welche die »historische Bedeutung« dieses Mannes ausmachen, nämlich seine Hilfs- und Rettungsaktionen, in der Flut von häufig trivialen Informationen über den Etappenalltag in Warschau fast untergehen oder doch nur mit Mühe aufgespürt werden können.

»Das Leben eines deutschen Offiziers«? Man fragt sich, ob es sich hier nicht um eine dem militärischen Milieu geschuldete Akzentsetzung handelt. Denn Hosenfeld war kein deutscher Berufsoffizier, sondern ein zwangsverpflichteter Reservist, von Beruf ein ambitionierter Volksschullehrer. Wie die folgende, im August 1940 unter dem Eindruck einer Offiziersbesprechung in Warschau niedergeschriebene Notiz zeigt, war er sich über seinen Status sehr wohl im Klaren: »Wie selbstbewusst und sicher diese Soldaten sind, so ohne Hemmungen und Beschwerung. Sie sind nichts anderes als Soldaten. Das bin ich nicht. Meine Leistung liegt auf andern Gebiet, aber das gilt nicht; deswegen ist unsereiner belastet und unsicher. Es gäbe nichts Schöneres, als in die alte Lebensaufgabe zurückkehren zu dürfen.«

Wie durch die neuere Forschung ermittelt worden ist, waren die meisten jener außergewöhnlichen Wehrmachtsoldaten, die sich mutig zur Hilfeleistung für rassisch Verfolgte entschlossen, keine Berufsmilitärs, sondern »eingekleidete Zivilisten«, die auch unter den Anforderungen der Kriegsmaschinerie ihre humanen Grundsätze nicht preisgaben. Ist es statthaft, die Ausnahmeerscheinung Hosenfeld – nach dem Diktum des Pianisten Szpilman war er »der einzige Mensch in deutscher Uniform, dem ich begegnet bin« – gleichsam durch die Hintertür für die Rehabilitierung des Standes der Wehrmachtsoffiziere zu reklamieren?

Wolf Biermann hat schon im Jahre 1998 dem damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe den Vorschlag gemacht, Hosenfeld in geeigneter Weise, zum Beispiel als Namensträger einer Bundeswehreinrichtung, zu ehren und ihn dadurch zum Vorbild zu machen. Ähnliche Vorschläge hat die Gesellschaft Gegen Vergessen – Für Demokratie unterbreitet. Man möchte wünschen, dass nach dem Feldwebel Anton Schmid, dessen Namen eine Kaserne in Rendsburg trägt, nun ein weiterer Wehrmachtsoldat als Kasernenpatron zum Zuge kommt, der mutig aktiven Anstand praktiziert und damit die Menschenrechte hoch gehalten hat. Wenn diese verdienstvolle Edition Bedenkenträger auf der Hardthöhe von der Richtigkeit dieses Vorhabens zu überzeugen vermag, so hat sie ihre Aufgabe erfüllt.

 

The TLS n.º 5319, March 11, 2005

 

The good German

Steven E. Aschheim

Wilm Hosenfeld

ICH VERSUCHE JEDEN ZU RETTEN

Das Leben eines Deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern

Edited by Thomas Vogel

1,194 pp. Munich: Deutsche Verlag. 32 euros

3 421 05776 1

Roman Polanski’s film, The Pianist, which recorded the ordeal and survival in Warsaw between 1939 and 1945 of Wladyslaw Szpilman (based on the latter’s memoirs), gave us tantalizing but vague glimpses of the “good German” who, after hearing Szpilman play Chopin’s Nocturne in C sharp minor, saved his life by providing him with food and a hiding place. Because the story is told from Szpilman’s perspective, the portrait of the German is necessarily left shadowy and we are told nothing about he man and his world. These events transpired right at the end of the Second World War. A short time later, entirely by chance, Szpilman’ s colleague, the violinist Zygmunt Lednicki, passed by a temporary German prisoner-of war camp. The same German officer staggered to the wire and asked him if he happened to now Szpilman. When Lednieki answered affirmatively, the German recounted what he had done for the pianist and requested his help, but was removed by a guard from the wire. As he was being led away, he shouted his own name, but Lednicki could not make it out. Despite great efforts Szpilman never managed to track down his saviour. In the 1999 epilogue to Szpilman’ s memoirs, Wolf Biermann reported that the officer, Wilm Hosenfeld, died in Russian captivity, in 1952, a year before Stalin’s death (and included a few excerpts of the diary that Hosenfeld had managed to send home).

Until recently this was about all that was known of Hosenfeld. With the publication of a vast collection of his letters, notes and diary entries, which were in the keeping of his family as well as letters and testimonies from those he helped during the War, and protocols of his interrogations by the Soviets, that situation has now been considerably rectified. These papers provide graphic detailed accounts of Hosenfeld’s family, professional, political and religious life as well as his growing critical awareness of Nazi barbarity, and his aid quite apart from Szpilman — to numerous Poles and Jews. Indeed, it is noteworthy that Szpilman is not mentioned in Hosenfeld’s wartime letters nor even in his diaries. One would assume that this was prompted by fear of discovery. Thus, when noting the shocking mistreatment of Jews in a letter in September 1939 to his son Helmut, HosenfeId remarked: “I can tell you about this sometime later. I can’t write anything about this”. Yet the very candid, openly critical con­tent of his later missives to his wife, the appar­ent obliviousness to the censors, is a particularly striking feature of his correspondence. It is becoming increasingly clear that many Germans at home were indeed apprised of the atrocities in the East and that such letters from the front constituted an important source of this knowledge.

Thomas Vogel calls his book-length introduction to this volume “Wilrn Hosenfeld a German Life”. This is both an accurate and misleading title. It is misleading because many of Hosenfeld’s nascent humanitarian convictions and actions were anything but typical. There were pitiably few Germans who comported themselves in that way. Indeed, a critic in Die Zeit has argued that, as a publication of the military research agency of the Bundeswehr, this volume is intended to imply that Hosenfeld was typical of broader altitudes and actions within the Wehrmacht itself. There are, to he sure, numerous statements by Hosenfeld that the Wehrmacht, unlike the SS and the police, conducted itself in a more or less traditional and “respectable” manner. Yet, in his letters from Warsaw, he clearly sought to distinguish himself from the military company he kept: “How self—conscious these soldiers are, without inhibitions and burdens. They are nothing but soldiers. That I am not”.

In many ways, then, Hosenfeld was exceptional. And yet, born into the Wilhelmine era, in 1895, his life faithfully reflected the wider twentieth-century experience of ordinary Germans as they navigated their way through the First World War, the vicissitudes of the Weimar Republic, the Second World War and its confused aftermath. A devoted husband and father to five children, Hosenfeld lived the life, before 1933, of a rather enlightened, yet fervently Catholic, conservative nationalist. Even then, albeit far less dramatically, some of the tensions between his humanism and nation­alism that were later to bedevil him in the East become apparent. He was an enthusiastic adherent of the German Youth Movement and preached its curious blend of progressive and völkisch sentiments; he was wounded and decorated in the First World War, which he fought with unbridled patriotism, and a growing awareness of the senselessness of the slaughter; he was a dedicated teacher, intent on adopting enlightened methods, but always within an essentially “Germanic” frame. He shared many post-First World War German resentments, and, early on, his religious conservatism notwithstanding, succumbed to the revolutionary temptations of Nazism. He joined the SA on April 15, 1933, the National Socialist teachers organization soon after, and, in August 1935, became a formal member of the Party.

From that lime on, Hosenfeld remained sus­pended in an unresolved dualism of commitment and disaffection, complicity and dissent. He was swept away by Hitler (and Goebbels), yet bemused by the intensity and violence of Nazi anti-Semitism, and by 1938 condemned it as narrow, fanatic, insular, crude”. He was openly opposed to Alfred Rosenberg’s neo-pagan musings, yet all the while sought to reconcile National Socialism with his own Catholicism. At the same time as he clearly accepted a racial view of the world “Biology ‘, he wrote at the beginning of 1939, “is the new foundation of our thought and will” and regarded the prohibition against race mixture as a prime goal of practical education, Jew-hatred was absent from it. He insisted too that the “spiritual greatness of other races had to he acknowledged”. He ardently affirmed the vision of a pan-German imperial Europe, approved of the campaign against Poland, and Hitler’ s initial war aims, yet already in 1937 noted that the Party operated on the basis of “lies, distortion and defamation and where that was not enough, with terror”.

Too old to be conscripted for active duty (he was forty-four at the beginning of the Second World War), Hosenfeld was deployed in various ways on the Eastern front: among other activities, he set up a prisoner camp in Poland describing in enthusiastic organizational detail bow he had coped with masses of people, and created form and order out of chaos and from 1940 served in Warsaw, where eventually he headed a sports-and-recreation programme for Germans serving throughout the region.

The tension between Hosenfeld’s approval of the Führer and the war, and his growing sense of the suffering and injustice this caused, was tangible from the beginning. Almost as soon as Hosenfeld entered Poland, he wrote movingly about the suffering of Polish prisoners, was giving gifts to local children, and complained to his wife about the crude treatment handed out to the Jews. Already in November 1939 he lamented the murderous criminality of his fellow Germans: “How keenly I wanted to be a soldier but today I want to tear my grey coat into shreds. Should we hold the shield behind which these crimes against humanity can occur? The Wehrmacht is not guilty, does not approve of all this, but we stand by powerlessly and must witness it”.

The shame, fear, impotence and moral outrage of this older and increasingly lonely man are evident throughout the letters and diaries edited in Ich versuche jeden zu retten. Yet, as if to underline the jarring dissonance of experience that came with Hosenfeld’s position, the cohabitation of evil and the everyday, the prosaic and the inconceivable, the solitary and the social, he continued to live his life, listening to music, attending the theatre, enjoying Die Fledermaus and Lehar’s Land of Smiles, playing chess, tennis, riding horses, taking his first aeroplane ride, and throughout organizing rather grand sports festivals for all branches of the occupying forces. Hosenfeld was keenly aware of these contradictions. In September 1942, he supped with the genocidal anti-Semitic SS officer Gerhard Stabenow and wrote: “Why am I eating at the richly bedecked table of the rich when all around there is great poverty and the soldiers are hungry? Why does one keep quiet and not protest? We are all too cowardly and comfortable   

These documents also provide graphic evidence as to the force and tenacity of the Hiller myth, which Hosenfeld only gradually and very reluctantly relinquished. Side by side with his disapproval of the atrocities, he remained impressed with Hiller’s remarkable military successes and with what he regarded his genius: “This struggle”, he wrote on September 25, 1940, “is really the great confrontation of Europe with the new idea of a National Socialist Germany. Are we too small for the great thoughts of the Führer?... Tomorrow Europe will emerge as a new German creation, or else all will sink into an unholy chaos. Napoleon tried to create a French Europe, the consequences of which have lasted to our own days, but his great genius lacked the constructive idea of a genius like Adolf Hitler.” Hosenfeld plaintively added that this vision would he made more effective if Germans were to come not as despots but as carriers of the German spirit, freedom and justice.

Despite these ambivalences, as the war proceeded Hosenfeld’s sense of isolation, disillusionment and moral anguish grew. “As long as the earth has been inhabited by people”, he wrote to his wife, “certainly nothing like this has gone before. One loses all faith and hope. How deep have we sunk.” To be sure, his disgust about atrocities committed against the Jews went together with a more pragmatic fear of the consequences of these acts. He constantly noted that revenge was sure to he wrought upon us and our children”. At the same lime, he struggled to place the immense scale of the killings within a comprehensible frame. “One cannot believe all this”, he wrote in his diary on July 23, 1942, “I resist believing it, not just out of concern for the future of our people who surely will sometime have to alone for these monstrosities, rather because I do not want to believe that Hitler wants something like this, that there are German people who give such orders. There is only one explanation, they are sick, abnormal, or crazy.” But, by August, the murderousness was so commonplace that Hosenfeld rejected notions of insanity and abnormality as inadequate to account for the scale and system of these events. Human nature, this believing Catholic now declared, was instinctively evil and animal, and given that those at the helm of State had allowed conventional inhibitions to become unloosed, ordinary men had been turned into base murderers.

By the time the Warsaw Ghetto was razed, Hosenfeld had shed all illusions. In a diary entry of June 16, 1943, he wrote: “The whole ghetto is a burned ruin. . . These beasts. With this terrible mass murder of the Jews we have lost the war. We have brought upon ourselves an irredeemable disgrace, an inextinguishable curse. We deserve no pity, we are all complicit. I am ashamed to go into the city, every Pole has the right to spit at us”. Given his acts and sentiments there is a tragic irony in the fact that Hosenfeld died in Soviet captivity, condemned as a war criminal. When the Polish revolt erupted towards the end of the war, he acted as the deputy Wehrmacht intelligence officer interrogating and punishing captured rebels, and it was in this capacity that he was tried and sentenced. Yet he had desperately (though unsuccessfully) sought to obtain for these resisters prisoner of war status, and attempted in some way or other to save those who carne before him. On August 23, 1944, he wrote home: “Every day I have to carry out these interrogations... . These people acted out of pure patriotism but we cannot spare them. I am trying to save everyone who can he saved. I am not the person to carry out these investigations, at least with the heartlessness that is the norm here and usually applied. And yet I am thankful that I must do this for at least I can do something good”.

Enmeshed in the murderous system as he was, Hosenfeld’s thoughts and actions were, to he sure, trapped in a situation Saul Friedländer once called “the ambiguity of good”. There is little that is clear cut in this tale. Still, Hosenfeld’s ultimate fate to be convicted and die in captivity as a war criminal was surely unjust. When Yad Vashem was approached in 1999 to award Hosenfeld its most honoured title of Righteous Gentile, the members of the committee responsible rejected the application partly on the grounds of this Soviet sentence. Now that we have a much fuller documentation of the relevant material, they would do well to reconsider their decision, precisely because, in the murky mix of complicity and conscience that lies at the centre of Wilm Hosenfeld’s story, there were some critical life-saving moments, when the latter prevailed over the former.

 

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

Eine voluminöse Auswahl aus dem Nachlass, mit ausführlicher Einleitung und Kommentar versehen, hat Thomas Vogel nun herausgegeben. Es ist ein Buch geworden, in dem man sich rasch festliest, das dem Retter Hosenfeld ein Denkmal setzt und unter den vielen persönlichen Dokumenten und Erinnerungen aus dem 20. Jahrhundert, die in den vergangenen Jahren erschienen sind, eine Ausnahmestellung einnimmt. Wer wissen will, wie es gewesen ist, hat hier eine Quelle ersten Ranges in der Hand. Es ist ein sehr deutscher Bildungsroman, die Geschichte eines Mannes, der aus Patriotismus Nationalsozialist wurde und aus Patriotismus mit dem Nationalsozialismus brach. Es ist die Geschichte eines engagierten Lehrers, eines Etappenoffiziers und Besatzungssoldaten im Generalgouvernement, die Geschichte eines innig liebenden Ehemannes und streng wie verantwortungsbewusst erziehenden Vaters. Und es ist eines der wenigen Dokumente aufrichtiger deutscher Bewunderung für den Nationalstolz und die Widerstandskraft der Polen.

Jens Bisky: Sturz ins Verhängnis, aus: Süddeutsche Zeitung, 26. Juli 2004

 

 

VOICE of GERMANY

   

Wilm Hosenfeld: «Ich versuche jeden zu retten»

31. Jul 2004 08:16

Wilm Hosenfeld, «Ich versuche jeden zu retten», Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern, Deutsche Verlags-Anstalt 2004

Wladyslaw Szpilman, Der Pianist, Mein wunderbares Überleben, Ullstein 2002

Roman Polanskis Film «Der Pianist» hat Wilm Hosenfeld als Retter des jüdischen Musikers Szpilman bekannt gemacht. Aufzeichnungen des Offiziers belegen, dass ihm noch mehr Menschen ihr Überleben verdanken.
Von Corina Kolbe

Als sich die polnische Untergrundarmee AK in Warschau am 1. August 1944 gegen die Nazi-Besatzer erhob, hatte der deutsche Offizier Wilm Hosenfeld das Kriegsleid der Bevölkerung in Polen bereits seit Jahren miterlebt. Mit dem Aufstand, bei dem fast 180.000 Zivilisten starben, rückten die Kämpfe nun allerdings näher ihn heran als je zuvor.

In Briefen an die Familie und Tagebuchnotizen, die kürzlich vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam herausgegeben wurden, äußert sich Hosenfeld erschüttert über die Brutalität der SS, die Warschau dem Erdboden gleichmachen sollte. «Von Stunde zu Stunde sinkt die Stadt durch Feuersbrünste und Bomben mehr in Trümmer», schreibt er am 8. August 1944 an seine Frau und Kinder. «Man muss seine Augen und sein Herz verschließen. Mitleidlos wird die Bevölkerung vernichtet.»

Zivilcourage

Durch Hilfsaktionen, die ihn selbst in Gefahr bringen, beweist der gläubige Katholik in jenen Tagen Menschlichkeit und Zivilcourage. In den vorangegangenen Jahren hatte er bereits den katholischen Pfarrer Antoni Cieciora und mehrere Warschauer Juden vor ihren Verfolgern geschützt.

Nun bemüht er sich, auch gefangene Aufständische vor dem Tod zu bewahren: Bei Verhören könne er manches Unrecht wieder gutmachen, meint er: «Ich versuche jeden zu retten, der zu retten ist.»

Für die polnischen Untergrundkämpfer endet der Aufstand nach 63 Tagen mit einer verheerenden Niederlage, Tausende geraten in Gefangenschaft. Weder die Rote Armee, die bereits die Stadtgrenzen erreicht hatte, noch die Westalliierten waren ihnen zur Hilfe gekommen. Hunderttausende Menschen werden aus Warschau vertrieben, 90.000 werden zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich und 60.000 in Konzentrationslager gebracht.

Nicht von vornherein Hitler-Gegner

In der stark zerstörten Stadt begegnet Hosenfeld wenige Monate später dem jüdischen Pianisten Wladislaw Szpilman, den er auf einem Dachboden versteckt und mit Nahrung versorgt. Diese Episode wird auch in Roman Polanskis Film «Der Pianist» geschildert, der auf den Erinnerungen Szpilmans beruht. Viele Seiten der Person des Offiziers bleiben jedoch zunächst im Dunkeln - diese Lücken werden nun durch seine Aufzeichnungen geschlossen.

Hosenfeld lässt sich nicht von vornherein als Nazigegner charakterisieren, ebenso wenig war er ein geborener Pazifist. Einst patriotischer Frontkämpfer im I. Weltkrieg, ist er in der Weimarer Republik empfänglich für rechtsnationale Strömungen. Eine geistige Heimat findet er im äußersten rechten Spektrum der Wandervogel-Bewegung, deren Ideal einer «Volksgemeinschaft» er als Lehrer in einem Dorf nahe Fulda umzusetzen versucht.

Sein Idealismus lässt Hosenfeld zunächst den Verführungen der NS-Ideologie erliegen, gibt ihm aber auch die moralische Stärke, Unrecht als solches zu erkennen und abzulehnen. Die umfangreiche Dokumentation macht deutlich, wie er sich im Laufe der Jahre vom überzeugten SA-Mitglied und Hitler-Bewunderer zum Regimegegner wandelt. Blieb ihm auf seinem Dorf in Hessen das «hässliche Gesicht» des Nazi-Terrors lange Zeit verborgen, gewinnt er im Kriegseinsatz in Polen zunehmend Distanz zum Nationalsozialismus.

Entsetzen über Massenmord an Juden

Die massenhafte Deportation von Juden in Vernichtungslager im Sommer 1942 und die militärische Niederlage der deutschen Wehrmacht in Stalingrad im darauffolgenden Winter lassen seine kritische Haltung gegenüber dem Hitler-Regime vollends in Abneigung umschlagen. Immer mehr verfestigt sich bei ihm auch die Gewissheit, dass der Krieg für Deutschland verloren ist.

Hosenfeld, der in Warschau mit großem pädagogischen Ehrgeiz eine Sportschule der Wehrmacht leitet, nutzt seinen Posten nun verstärkt, um verfolgte Polen zu verstecken. Er besorgt ihnen falsche Papiere und gibt ihnen Arbeit. Einen bereits von der SS festgenommenen Verwandten des Pfarrers Cieciora holt er in letzter Minute aus einem Gefangentransport und bewahrt ihn so vor der Hinrichtung. Möglicherweise hat er sogar weit mehr Menschen gerettet, als sich aus seinen Notizen und den Aussagen Überlebender rekonstruieren lässt.

Die Misshandlungen, von denen ihm ein ehemaliger deutscher KZ-Häftling berichtet, überzeugen Hosenfeld davon, dass SS-Leute die eigentlichen «Untermenschen» sind. «Nun muss das ganze Volk, das nicht rechtzeitig das Geschwür ausmerzt, zugrunde gehen. Diese Schurken opfern uns alle», vertraut Hosenfeld seinem Tagebuch an, das er schließlich unter höchsten Risiken nach Hause schicken kann.

Tod in Kriegsgefangenschaft

Szpilman gegenüber bekennt Hosenfeld, dass er sich nach allem, was geschehen sei, schäme, ein Deutscher zu sein. Die Rettung des Pianisten bleibt in den Aufzeichnungen übrigens unerwähnt – wohl eine Vorsichtsmaßnahme, um seinen Schützling nicht in Gefahr zu bringen. Szpilman selbst schreibt in seinen Erinnerungen, Hosenfeld sei der «einzige Mensch» in Uniform gewesen, dem er begegnet sei.

Tragischerweise gerät der Offizier später in russische Gefangenschaft und wird schließlich als Kriegsverbrecher verurteilt, ohne dass ihm Szpilman und andere Gerettete helfen können. 1952 stirbt Hosenfeld, nach mehreren Schlaganfällen körperlich und psychisch zerstört, in einem Lager bei Stalingrad. Von seinen mutigen Rettungsaktionen erfährt in den kommenden Jahrzehnten fast niemand.

Die kritische Gesamtausgabe seiner Aufzeichungen ist ein wichtiger Beitrag zur deutsch-polnischen Aussöhnung, ergänzend zu den Erinnerungen Szpilmans, die schon kurz nach ihrer Erstveröffentlichung 1946 in Polen wieder in der Versenkung verschwanden.

Entdeckung eines vergessenen Helden

Das kommunistische Regime in Polen war offensichtlich nicht dazu bereit, einen Wehrmachtsoffizier anders als in der Rolle eines Mittäters der Nazis zu sehen. Als Deutscher durfte Hosenfeld ohnehin nicht in Erscheinung treten: Szpilmann wurde von der Zensur gezwungen, ihn zum Österreicher zu machen.

Erst 1998, zwei Jahre vor dem Tod Szpilmans, konnte die Biografie wieder erscheinen, diesmal in deutscher Übersetzung. Der in Hamburg lebende Sohn des Musikers, Andrzej Szpilman, brachte das Buch mit Unterstützung von Wolf Biermann heraus. Dieser wiederum erreichte durch eine Intervention bei dem früheren Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), dass sich das Militärgeschichtliche Forschungsamt des Hosenfeld- Nachlasses annahm.

In Deutschland erlebe er immer wieder die schmerzliche Sprachlosigkeit zwischen Juden, Deutschen und Polen, schreibt Andrzej Szpilman in dem Vorwort zu den Erinnerungen seines Vaters. «Ich hoffe, dass dieses Buch dazu beitragen wird, die immer noch offenen Wunden zu schließen.»

  

 

DeutschlandRadio Berlin

   

Das Politische Buch
30.7.2004

Wilm Hosenfeld: "Ich versuche jeden zu retten"

Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern

Rezensiert von Rainer Blasius

Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
Thomas Vogel, Hrsg.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004

Vor sechzig Jahren erhob sich Polens Heimatarmee aus dem Untergrund - in der Hoffnung auf eine sowjetische Offensive gegen die deutschen Besatzer. Damals tat Wilm Hosenfeld vorübergehend Dienst als Abwehroffizier des Kommandanten von Warschau, Generalleutnant Stahel. Am 11. August 1944 verhörte der Reservehauptmann einen Kämpfer der Heimatarmee. Darüber schrieb er seiner Frau:

Es kann einem leid tun, wenn man diese irregeleitete Jugend ihrem Untergang entgegengehen sieht. Er machte ganz unbefangen seine Aussagen. Er war, glaube ich, sogar etwas stolz auf seine Uniform.

Nicht nach Hause berichtete der mitfühlende Vater von fünf Kindern, wie er sich für die Aufständischen einsetzte. Obwohl es einen Befehl gab, dass die Mitglieder der Heimatarmee "rücksichtslos zu vernichten" seien, ergriff er die Initiative und machte General Stahel darauf aufmerksam, dass sich die Kämpfer durch rotweiße Armbinden als polnische Streitmacht kennzeichneten. Daher müssten sie als normale Kriegsgefangene behandelt werden - dürften also keineswegs getötet werden. Jedoch meinte der Kommandant, dass ein polnischer Staat nicht mehr existiere und die Bestimmungen des Völkerrechts nicht anwendbar seien. Hosenfeld erwiderte, dass es in London sogar eine polnische Exilregierung gebe und jedes Volk das Recht habe, für seine Unabhängigkeit zu kämpfen. Dies ließ Stahel nicht gelten und wies Hosenfeld an, sich von Militärjuristen "belehren" zu lassen. Der Reserveoffizier war schockiert:

Ich sagte zu Oberstabsrichter Koch: "Also sind die Gefangenen nach Ihrer Ansicht Banditen und werden erschossen." "Jawohl", sagte er. Dieser Antwort pflichtete Oberstabsrichter Jaeth bei. Ich antwortete: "Ich sehe darin eine Verletzung des Völkerrechts." Er: "Sie haben das nicht zu verantworten, das entscheidet der General." Darauf begab ich mich wieder zum General Stahel und teilte ihm die Ansicht des Gerichtes mit. Er sagte: "Erschießungen werden von uns nicht durchgeführt, das macht der SD oder die Polizei, das geht Sie nichts an. Die Gefangenen werden von Ihnen verhört und dann dem SD übergeben. Halten Sie sich an meine Befehle! Schluss.

Dadurch ließ sich Hosenfeld nicht entmutigen. Als ihm drei verwundete Aufständische bestätigten, dass die Heimatarmee die gefangenen Wehrmachtsangehörigen gut behandele, allerdings SS, Polizei und SD liquidiere, meldete er dies dem General und schlug vor, dass die Wehrmacht doch ihre Gefangenen verschonen sollte.

Zu meiner Überraschung entschied er, dass die drei Gefangenen dem deutschen Hauptverbandsplatz zu überweisen und nach der ersten Wundversorgung in ein polnisches Zivilhospital abzugeben seien.

Solche Beispiele bewundernswerter Zivilcourage im Dienst und die messerscharfe Beobachtungsgabe von Wilm Hosenfeld fesseln den Leser der ausgewählten Briefe und Tagebücher, die vom Jahr 1917 bis zu letzten Zeilen des ausgezehrten Todkranken aus russischer Kriegsgefangenschaft "in fremder Handschrift" vom 15. Juni 1952 reichen. Der Verlag wirbt mit der Buchbanderole:

Der Pianist verdankt ihm sein Leben! Hier sind die Aufzeichnungen seines Retters.

Gemeint ist damit der polnisch-jüdische Musiker Wladyslaw Szpilman, der kurz nach Kriegsende Erinnerungen an das besetzte Warschau publizierte. "Das wunderbare Überleben" wurde von Wolf Biermann 1998 in deutscher Sprache veröffentlicht und von Roman Polanski unter dem Titel "Der Pianist" 2002 verfilmt. Biermann war es auch, der 1998 dem damaligen Verteidigungsminister Rühe dazu riet, die Bundeswehr möge sich des vorbildlichen Hauptmanns in geeigneter Form annehmen. So wurde das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Potsdam mit einer biografischen Recherche beauftragt, die in eine Vereinbarung mit Hosenfelds Kindern über die Bearbeitung des Nachlasses mündete.

Obwohl der strenggläubige Katholik und patriotische Dorfschullehrer aus Thalau bei Fulda, der im 1. Weltkrieg Vizefeldwebel gewesen war, im Sommer 1939 noch auf den Frieden hoffte, zog er gutgläubig ins Feld. Seit Juli 1942 im Range eines Hauptmanns der Reserve, war er als Sportoffizier und Gasschutzoffizier in Warschau und während des Aufstands 1944 vertretungsweise als leitender Abwehroffizier eingesetzt, dann im Spätherbst beim Stab des Wach-Regiments - während jener Wochen kam es zu den nicht im Buch dokumentierten Begegnungen mit Szpilman, den der Deutsche mit Lebensmitteln, Kleidung und einer Bettdecke versorgte. Schließlich geriet Hosenfeld als Kompanieführer im Januar 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft.

Eindrucksvoll bezeugen die Schriftstücke die Untaten der Besatzer, die der wohlinformierte Reserveoffizier als Ohrenzeuge wahrnahm, seine mehr oder weniger offenen Verbindungen zur bedrängten Zivilbevölkerung und manche seiner versteckten Rettungsaktionen für Juden und Polen. Der einzigartige Quellenwert dieser von Oberstleutnant Thomas Vogel betreuten Edition besteht noch in etwas ganz anderem: Erstmals lässt sich der Alltag in der Etappe anschaulich nachvollziehen: die zahlreichen sportlichen Aktivitäten und Wettkämpfe, die anspruchsvolle und abwechslungsreiche Lektüre von Nietzsche bis Bismarck, die Kino-, Konzert- und Theaterbesuche...

Ende Dezember 1943 verlor Hosenfeld die allerletzten Illusionen über das "Dritte Reich", als ihm ein herzkranker und an sich dienstunfähiger Bursche zugeteilt wurde, der von "fürchterlichen Quälereien" der SS erzählte, denen er vor Kriegsbeginn in einem KZ ausgesetzt gewesen war. Anschließend vertraute der im Vergleich zu hohen und höchsten Berufsoffizieren weitsichtige kleine Reserveoffizier seinem Tagebuch an:

Nun kann ich mir auch denken, wie die unglücklichen Juden und Polen gemartert worden sind, wenn an den eigenen Volksgenossen so gehandelt wurde. Aber, frage ich mich, woher kommen diese Untermenschen? Man hat doch früher nur einmal so etwas gehört von krankhaften Verbrechern. Und auf einmal sind sie zu Zehntausenden da. Und an der Spitze stehen diese Männer, die das billigen, gutheißen und wahrscheinlich die Methoden vorschreiben. Nun wird einem auch klar, warum sie nur mit Gewalt und Lüge weiterarbeiten können und warum die Lüge ihr ganzes System zudecken muss ... Nun muss das ganze Volk, das nicht rechtzeitig dieses Geschwür ausmerzte, zugrunde gehen. Diese Schurken opfern uns alle.

Für sich persönlich zog Hosenfeld daraus die eine Konsequenz, noch mehr als zuvor die eigenen Vorstellungen von Anstand und Moral, von Gut und Böse zum Maßstab zu nehmen und danach zu handeln - sich also mutig dem brutalen Besatzungsregime zu widersetzen, sowohl offen im Dienstalltag mit Hinweis auf Vorschriften und Recht als auch heimlich als Beschützer der Verfolgten durch listige Einfälle und zum Teil tollkühne Aktionen, ohne jede Rücksicht auf den eigenen Kopf und Kragen. Am 23. August 1944 - während des Warschauer Aufstands - schrieb er seiner Familie: "Ich versuche jeden zu retten, der zu retten ist." Einem solchen "Rettungswiderstand" gebührt ebenso wie den in den letzten Wochen wieder oft und zu Recht gerühmten "Rettern der deutschen Ehre" vom 20. Juli 1944 der Dank und die Anerkennung der Miterlebenden und Nachgeborenen.
 

 

Wilm Hosenfeld: "Ich versuche jeden zu retten". Das Leben eines

Deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern. Im Auftrag des

Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von

Thomas Vogel, München: DVA 2004, 1194 S., 29 Abb., 3 Karten,

ISBN 3-421-05776-1, EUR 32,00

Rezensiert von: Bernard Wiaderny

Berlin-Frankfurt/Oder

Die vorliegende Quellenedition beinhaltet den Nachlaß Wilm Hosenfelds,  des deutschen Offiziers, der durch die Rettung Władysław Szpilmans im  zerstörten Warschau im November 1944 berühmt geworden ist. Neben  Briefen an die Familie, Erinnerungen, Tagebucheintragungen und Notizen  aus den Jahren 1915-1952 umfasst sie für die Jahre der sowjetischen  Gefangenschaft Hosenfelds (1945-1952) außerdem einige amtliche  Quellen wie Vernehmungsprotokolle und Gerichtsurteile.

Freilich wäre es falsch, den Band nur unter dem Gesichtspunkt des oben  erwähnten, punktuellen Ereignisses zu lesen. Dafür ist sein Inhalt zu  vielschichtig, der sich meines Erachtens in zwei Schwerpunkten fassen  lässt: erstens die Haltung Hosenfelds zur NS-Ideologie, die in den Quellen  über die Jahre hinweg ein Leitthema bildet und auch von dem  Herausgeber im Vorwort nuanciert besprochen wird, zweitens sein  Umgang mit der Verfolgung der polnischen und jüdischen Bevölkerung im  Generalgouvernement. Diese erlebte Hosenfeld während seiner  Dienstjahre in Polen persönlich - zuerst in Pabianice bei Łód•, dann,  zwischen Mitte 1940 und Januar 1945, in Warschau. Dabei erkannte er  sehr schnell - schon im November 1939 (289) - den verbrecherischen  Charakter der NS-Polenpolitik. Das Besondere an Hosenfeld war, dass er  den Polen unaufhörlich geholfen und - trotz des amtlichen Verbotes -  private Kontakte zu den Einheimischen gepflegt hat. Da beides aber  keinerlei Nachteile nach sich zog, stellt sich - wie dies der Herausgeber  des Bandes mit Recht betont (93) - die Frage nach dem individuellen  Verhaltes- oder Handlungsspielraum, der auch unter den Bedingungen  der NS-Diktatur existierte. Darüber hinaus war Hosenfeld in der Lage,  sich das nötige Wissen über Einzelheiten des NS-Terrors im  Generalgouvernement zu verschaffen: er wusste von den  Vernichtungslagern in Auschwitz und Treblinka, von der Vergasung der  Opfer (607 und 654), von der Zwangsaussiedlung der polnischen und  ukrainischen Bauern aus dem Bezirk von Zamo•• (686) und so weiter.  Vieles davon gab er in seinen Briefen an die Familie weiter, trotz der  dafür drohenden Strafen. Er reflektierte auch über die durch das NS- Verbrechen entstandene Schuld und bezog sie nicht nur auf die Täter,  sondern auf die ganze deutsche Nation (641).

Während des Warschauer Aufstandes war Hosenfeld im Stab der dortigen  Wehrmacht-Kommandantur tätig, wo er die Funktion des Dritten  Generalstabsoffiziers (Ic-Offiziers) bekleidete. Er setzte sich für die  Behandlung der gefangenen Aufständischen als Kriegsgefangene ein und  versuchte sie nach seinen Möglichkeiten zu schonen. Stets gegenüber der  NS-Polenpolitik kritisch eingestellt, bezeichnete er den Führerbefehl,  wonach Warschau dem Boden gleichgemacht werden sollte, als "den  Bankrott unserer Ostpolitik" und die vorgenommene Zerstörung der  polnischen Hauptstadt als "das Abschlussdenkmal" dieser Politik (828).

Der Band ist mit umfangreichen Anmerkungen versehen, wobei das  Bemühen des Herausgebers sichtbar ist, die polnischen Gegebenheiten  einfühlsam zu behandeln. Trotzdem sind ihm diesbezüglich einige Fehler  unterlaufen, beziehungsweise reagierte er nicht auf in den Quellen  vorhandene Ungenauigkeiten. So kapitulierte Warschau nicht, wie  behauptet wird (unter anderem auf Seite 40), am 27.09.1939 - an dem  Tag wurde lediglich der Waffenstillstand vereinbart -, sondern einen Tag  später; die auf sowjetischem Terrain ab Mai 1943 gebildete polnische  Infanterie-Division bestand nicht aus Exilpolen (1124, Fußnote 244),  sondern aus den ins Innere der Sowjetunion in den Jahren 1940-1941  deportierten Bewohnern Ostpolens; der sowjetische Angriff überschritt die  polnische Vorkriegsgrenze nicht im Juli 1944 (95 und 1129, Fußnote 4),  sondern in der Nacht vom 3. auf den 4. Januar 1944 (in diesem Fall  wurde sogar der richtige Vermerk Hosenfels vom 05.01.1944 falsch  erläutert); die Bezeichnung "konservativ" in Bezug auf die Führungskader  der Armia Krajowa (1155, Fußnote 209) geht an den Inhalten der  damaligen Auseinandersetzung vorbei; die von Hosenfeld beschriebene  öffentliche Erschießung der polnischen Geiseln in Warschau in der  Piusstraße fand nicht am 18.10.1943 (760 f.), sondern einen Tag früher  statt. Aus der Beschreibung Hosenfelds über die Zwangsumsiedlung der  polnischen und ukrainischen Bevölkerung aus dem Bezirk Zamo•• geht  hervor, dass er die damals in Warschau kursierenden Gerüchte für wahr  hielt, wonach ein Zug mit verschleppten Kindern in der Hauptstadt  angekommen sei (686).

Im Literaturverzeichnis fehlt das Standardwerk "1859 dni Warszawy" von  Władysław Bartoszewski. Durch die Konsultation dieses Werkes hätten  übrigens die zwei oben erwähnten Fehler vermieden werden können.  Dagegen werden viele Arbeiten aufgeführt, die nicht zitiert werden, oder  sogar solche, die mit dem eigentlichen Thema des Bandes wenig zu tun  haben. Der im Literaturverzeichnis aufgelistete Historiker Gross (1178)  heißt mit Vornamen korrekterweise Jan Tomasz. Ein Problem für sich  bilden die polnischen Personen-, Orts- beziehungsweise Straßennamen.  Sie wurden in vielen Fällen entweder durch Hosenfeld falsch - einfach  phonetisch - angegeben und vom Herausgeber nicht korrigiert oder in  Kommentaren fehlerhaft geschrieben (auf eine Aufzählung wird hier aus  Platzgründen verzichtet).

Doch ändern diese Fehler nichts an der Tatsache, dass die Edition ein  Ereignis auf dem Feld der deutsch-polnischen Beziehungen darstellt, was schon durch zahlreiche Rezensionen in den Medien beider Länder zum  Ausdruck gekommen ist. Dem Herausgeber des Bandes gilt Anerkennung  für die Erschließung dieser Quelle, den Umfang der geleisteten Arbeit und  die Sorgfalt, mit welcher er diese Aufgabe erfüllt hat.

Redaktionelle Betreuung: Marco Wauker

aus hier 

 Berliner  Morgenpost

WWW.MORGENPOST.DE

Sonntag, 27. Oktober 2002

Der deutsche Offizier Wilm Hosenfeld rettete 1944 einen jüdischen Pianisten. Die wahre Geschichte zum Film

Von Hanns-Georg Rodek

Es ist der fünfte Kriegswinter. Ein Mann geistert durch die Ruinen - unrasiert, ungewaschen, der Kopf von verfilzter Haarwolle überwuchert. Der Mann heißt Wladyslaw Szpilman und hat einfach Glück gehabt. Ein Ghetto-Polizist riss ihn zurück, als er mit Vater Samuel, Mutter Edwarda, Bruder Henryk und den Schwestern Halina und Regina in den Viehwagon nach Treblinka stieg.

Er ist dann aus dem Ghetto geflüchtet, hat sich zwei Jahre in Warschau versteckt, Haussuchungen, Gelbsucht und einen Selbstmordversuch überlebt. Die Russen können jetzt nicht mehr weit sein, nur ein paar Wochen noch muss er überstehen. In einer verkohlten Villa findet er eine Dose Gurken und ist so mit der Suche nach einem Öffner beschäftigt, dass er den anderen erst bemerkt, als die Stimme direkt hinter ihm sagt: «Was suchen Sie hier?»

An den Küchenschrank gelehnt, steht, ein hoch gewachsener, eleganter deutscher Offizier. «Sie sind Jude?», fragt er. «Ja,» antwortet Szpilman. Man schreibt, wahrscheinlich, den 18. November 1944.

Es ist dies der zweite Weltkrieg für Wilhelm Adalbert, genannt Wilm Hosenfeld. Im ersten ist er drei Mal verwundet worden. Seine Frau Annemarie gebiert ihm zwei Söhne und drei Töchter. 1927 ziehen sie nach Thalau, ein 350-Seelen-Nest in der Rhön, wo Wilm die Volksschule übernimmt. Er ist ein moderner Lehrer, der ohne Rohrstock auskommt. 1932 lässt er die Schüler «Reichstag» spielen; alle «Parteien» kommen zu Wort. Dann wird abgestimmt, und die Schulwahl geht aus wie die echte Reichstagswahl im Dorf: Je eine Hand voll Stimmen für Nazis und Kommunisten und 300 fürs tief katholische Zentrum.

Wilm, der ewig optimistische Wandervogel, tritt freiwillig in den NS-Lehrerbund ein und in die NSDAP und wird der Führer des SA-Sturmtrupps von Thalau. Denn Hitler ist gegen den Versailler Schandvertrag und für Volkstum und Volkslieder und Volksbildung, alles Dinge, die Hosenfeld am Herzen liegen. Er bleibt aber ein freier Geist. Er unterschreibt gegen die Abschaffung der Konfessionsschulen und redet im Lehrerbund gegen den «Mythos des 20. Jahrhunderts» des NS-Cheftheoretikers Rosenberg. Dafür verbietet ihm der Landrat, weltanschaulichen Unterricht zu geben.

Als Hosenfeld 1939 einrückt, ist er 44 und glaubt sein Land im Recht. Das Bataillon aus WK1-Veteranen kämpft nicht, sondern sichert das Eroberte. Im Oktober findet sich Hosenfeld als Kommandant des Gefangenenlagers im polnischen Pabianice. «Entschuldigen Sie, mein Herr», spricht ihn bald eine Frau an, «in diesem Lager sitzt mein Mann. Ich bin schwanger, und die Mutter meines Mannes liegt im Sterben. Bitte tun Sie etwas, um ihren Sohn freizubekommen.»

Zofia Cieciora lügt. Sie ist nicht schwanger, ihrer Schwiegermutter geht es gut. Hosenfeld bittet sie in sein Büro. «Ich bin Katholik, ich helfe Ihnen», sagte er. Nach drei Tagen kommt Stanislaw Cieciora heim. Man schickt Hosenfeld ein Paket mit Essen, er nimmt es an. Er lässt viele vorzeitig frei, lässt die Gefangenen Gottesdienste feiern und patriotische Lieder singen - mit einem Wort, er handelt nach dem Kodex des Ersten Weltkriegs, als es Gegner gab, keine Feinde, und wenn die überwältigt waren, bot man ihnen eine Zigarette an.

Er beginnt, nach Thalau zu schreiben. Am 15. Dezember 1939 berichtet er von einem Gespräch über die vielen Verhaftungen, deren Zeuge er wurde: «Glauben Sie, mit diesen Methoden können Sie die Männer gewinnen zum Aufbau? Wenn die aus den Konzertlagern (!) zurückkommen, sind die die schlimmsten Gegner der Deutschen», argumentiert ein Offizier. «Glauben Sie denn, dass einer davon zurückkommt?», entgegnet ein Gestapo-Mann. «Die werden alle auf der Flucht erschossen.»

Hosenfeld erfährt immer mehr, und jeder, der die Augen offen hält, kann es erfahren. Im Winter 1940 sieht er, wie SS-Leute einem kleinen Jungen, den sie beim Heudiebstahl ertappt haben, die Pistole an den Kopf setzen. Hosenfeld ruft: «Sie können doch nicht das Kind umbringen!» Der SS-Mann betätigt den Abzug.

Hosenfeld wird die Verwaltung der Warschauer Sportanlagen übertragen; er soll die Etappe körperlich und geistig fit halten. Er führt Polnisch-Unterricht ein, Dozent ist ein Anton Cichocki, dessen wahrer Name Cieciora lautet und der Zofias Schwager ist und als Priester auf der deutschen Fahndungsliste steht. Hosenfeld weiß das und deckt es, wie er den Stadionarbeiter Leon Warczynski deckt, der eigentlich Warm heißt und aus einem Treblinka-Transport floh. Und wie er Karl Hoerle deckt, einen deutschen Kommunisten, der an der Ostfront verheizt werden soll. 1943 sieht er in einem offenen LKW mit Polen auf dem Weg zur Hinrichtung einen Bekannten namens Koszel. Er stoppt den Wagen und holt ihn heraus. Er brauche einen Arbeiter, sagt er den Bewachern.

«Was sind Sie von Beruf?», fragt Hosenfeld den verwahrlosten Mann mit der Büchse. «Pianist.» Er bittet ihn ins Nebenzimmer, deutet auf ein Klavier: «Spielen Sie etwas.» Wladyslaw Szpilman spielt Chopins Nocturne cis-Moll. Hosenfeld hört zu, dann lässt er sich das Versteck des Mannes zeigen. Drei Wochen lang bringt er ihm regelmäßig Brot und Marmelade, einen Mantel, eine Daunendecke. Dann verabschiedet er sich mit der Nachricht, die Russen würden bald da sein.

Am 17. Januar 1945 gerät Wilm Hosenfeld in Gefangenschaft. 1946 schmuggelt ein entlassener Kamerad einen Zettel in den Westen, auf den Hosenfeld die Namen von Menschen gekritzelt hat, denen er half und die ihm nun helfen könnten. Szpilman, Cieciora, Hoerle - sie setzen alle Hebel in Bewegung und stoßen doch an eine Mauer. Stalin will ein Faustpfand behalten und lässt 20 000 deutsche Soldaten als «Kriegsverbrecher» verurteilen. Hosenfeld erhält 25 Jahre Zwangsarbeit, wahrscheinlich wegen seiner Verhöre. Nach Folter, Hunger und zwei Schlaganfällen stirbt er am 13. August 1952 in einem Lager bei Stalingrad.

 

LESEPROBE, HIER