16-3-2004

 

ERICH HONECKER

(August 25, 1912 - May 29, 1994)

 

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Chronologie

Kurioses und Wissenswertes rund um den ehemaligen DDR-Chef

 

 

BIOGRAFIE

Genosse Serenissimus lächelt nach Westen

Mehr Kleinbürger als Tyrann: Norbert F. Pötzl hat eine faire Biografie über Erich Honecker geschrieben/Von Christoph Dieckmann

Christoph Dieckmann

Norbert F. Pötzl : Erich Honecker Eine deutsche Biographie; Deutsche-Verlags_Anstalt, München / Stuttgart 2002;
384 S., 24,90 €

Honi boomt. Nach Henrik Eberles Anmerkungen zu Honecker und Thomas Kunzes Staatschef a. D. ist nun binnen zwei Jahren der dritte Lebensabriss des finalen DDR-Staatschefs erschienen. Norbert F. Pötzl, Redakteur des Spiegels, erhebt als Erster Anspruch auf den ganzen E. H.: Eine deutsche Biografie, das klingt auch ein bisschen, als müsste Honeckers Nationalität verteidigt werden.

Einleitend zeichnet Pötzl in knappen Zügen einen Saarländer Arbeiterspross vom Jahrgang 1913 mit jungkommunistischer Sozialisation, einen Bruder Lustig, der Prinzipien gern pragmatisch unterläuft.

 
 

 

Wie der spätere SED-Funktionär Honecker kaum Russisch lernt und sein schlichtes Denkgebäude ungern theoretisch unterkellert, so schlägt Jung Erich im Wiebelskirchener Spielmannszug die Trommel; die Schalmei sei ihm zu schwierig gewesen. Auch seine Dachdeckerlehre schließt Honecker nie ab. Hitler kommt an die Macht. Honecker betätigt sich mit Umsicht und Courage im antifaschistischen Untergrund. 1937 fliegt er auf und wird vom Volksgerichtshof zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Vom Günstling zum Gegenspieler Ulbrichts

Wie schon Henrik Eberle vermag auch Pötzl ein Rätsel nicht zu lösen: Anfang 1945 gelang Honecker während eines Luftangriffs die Flucht von seinem Arbeitskommando. Wochen später meldete er sich zurück – anscheinend ohne Folgen. Wie das? Pötzl vermutet, Honeckers große Liebe Lotte Grund, Aufseherin im Zuchthaus Brandenburg-Görden, habe sich für ihn verwenden können. Lotte Grund starb 1947 an einem Hirntumor. Es gibt Indizien, dass sie mit Honecker verheiratet war. In seiner Autobiografie Aus meinem Leben (1980) erwähnt Honecker Lotte Grund mit keinem Wort.

Seit 1947 war der anlehnungsbedürftige junge Mann mit der Parteifunktionärin Edith Baumann liiert; er schätzte an ihr unter anderem, dass sie „flott Schreibmaschine schreiben“ konnte. Sie heirateten 1949, jedoch fand der Gatte bald zu Margot Feist, die 1952 Mutter seiner Tochter Sonja wurde und 1953 Margot Honecker. Die eheliche Harmonie nahm Schaden, als Margot sich 1965 „in einen bekannten Schauspieler“ verliebte (Otto Mellies), von dem sie sogar ein Kind bekommen haben soll. Derartige Personalia hält Pötzl knapp, versammelt jedoch Stimmen, wonach der jüngere Honecker durchaus noch kein orthodoxer Stalinist gewesen sei, eher ein roter Einheitsfrontler, der die ihm unterstellte FDJ als Große Koalition der Jugend gegen Faschismus und Krieg aufziehen wollte.

Honeckers Wille zur Macht war allerdings von jeher ausgeprägt. Er band sich an Ulbricht, mit dem er nach Stalins Tod und dem 17. Juni 1953 fast untergegangen wäre. Stalins Geheimdienstchef Berija wünschte Ulbricht entfernt, wurde jedoch während der Moskauer Diadochenkämpfe verhaftet und erschossen. Das rettete Ulbricht und seinen jungen Mann.

Am 13. August 1961 legte Honecker seine Gesellenprüfung ab: Er organisierte die Grenzabriegelung. Bald aber profilierte sich Ulbrichts Günstling als sein Gegenspieler. Manch vermeintliche Ausgeburt des Betonkopfs Ulbricht stammte eigentlich von Honecker. So verordnete Ulbricht 1963 eine liberalere Jugend- und Kulturpolitik, die von Honeckers FDJ-Lobby als sozialismusfeindlich attackiert wurde. Auch die kulturpolitischen Reinigungsexzesse des 11.Plenums 1965 hat der spätere „Liberale“ Honecker maßgeblich mitbetrieben. Zupass kam ihm außerdem, dass der SED-Chef zunehmend Moskauer Unwillen erregte. Ulbricht musste sein liebstes Kind begraben: Das „Neue ökonomische System der Planung und Leitung“ (NÖSPL), demzufolge die DDR-Betriebe eigenverantwortlich und nach Marktkriterien produzieren sollten, scheiterte am Einspruch des Großen Bruders. Vollends verdarb es sich Ulbricht mit Breschnew, als er die neugewählte Regierung Brandt zum deutsch-deutschen Dialog stimulieren wollte. Breschnew intervenierte, Honecker sprang ihm eilfertig bei und petzte außerdem diverse Allüren des alternden DDR-Vorstehers, der sich allmählich selbst für einen Klassiker der reinen Lehre hielt.

Dann Ulbrichts Sturz, am 27. April 1971. Pötzl konterkariert Honeckers Legende, seine Inthronisation sei ein „kulturvoller Übergang vom Älteren zum Jüngeren“ gewesen. Sie war eine Machtergreifung, was allerdings das DDR-Volk nicht mitbekam. Bis zu seinem Tode blieb Ulbricht Staatsratsvorsitzender, wurde jedoch hinter der Parteikulisse von Honecker gepiesackt und kaltgestellt. Ulbricht starb am 1. August 1973, während der Ostberliner Weltfestspiele der Jugend und Studenten. Auch Pötzl übernimmt die Mär, das Festival sei ungerührt fortgesetzt worden. In Wahrheit wurde es für einen Tag unterbrochen.

Die Phasen der Ära Honecker referiert der Autor bündig. Zunächst – bis zur Causa Biermann 1976 – galt der Neue als ideologischer Entprüder. Erlaubt war ab sofort, was nicht auf sozialistischen Boden spuckte. Rockmusik hieß plötzlich jugendgemäß, langes Haar war legitimer Bewuchs heller Köpfe, und bezüglich der Westmedien gelang Honecker die schöne Formulierung, man könne sie „bei uns jederzeit nach Belieben ein- oder ausschalten“. Der Normalbürger goutierte, dass Genosse Erich den Zahltag des Sozialismus vom Morgen ins Heute vorverlegte. Honecker proklamierte „die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ und startete ein gigantisches Wohnungsbauprogramm. Sozialistisch leben, das hieß fortan ausdrücklich auch Konsum. Die Ideale wurden materialisiert – ein von Anbeginn verlorener Wettlauf mit dem Westen. Keine DDR-Offerte befriedigte ein Volk, das sich allabendlich an den Schaufenstern von ARD und ZDF delektierte. Die Subventionspolitik ruinierte das Land. Honecker verdrängte die irreversible Westverschuldung der DDR. Dafür bemerkten die wechselnden Kremlherren sehr wohl, dass ihr westlicher Vorposten wirtschaftlich zunehmend von Gnaden der Bundesrepublik existierte.

Außenpolitisch hat Erich Honecker seiner Republik weltweit Anerkennung verschafft, freilich zu einem hohen Preis. Der Helsinki-Prozess namens Wandel durch Annäherung beförderte die „Konterrevolution auf Filzlatschen“. Der Westen infiltrierte den Osten. Der anerkennungssüchtige Honecker begriff, dass er einen vorzeigbaren Staat geistig und historisch weiter fassen musste, als das die Arbeiterklasse und die Antifa-Geschichte hergaben. Er hat die DDR immer mehr verdeutscht, von Thälmann zu Bismarck sozusagen, und er lächelte nach Westen. Die deutsch-deutschen Brücken zu beschreiben ist Pötzls Stärke, da taut der Archivar auf und wird Chronist, da sitzen wir mit Honecker und Herbert Wehner beim Pflaumenkuchen; und wir lauschen Günter Gaus; und Helmut Schmidt, allzeit von oben kommend, begrüßt seinen Widerpart am Döllnsee, 1981: „Papa Breschnew macht es doch nicht mehr lange!“ Honecker ist pikiert und preist Breschnews unsterbliche Vitalität. Schmidt: „Können Sie nicht dieses scheußliche Licht ausmachen?“ Honecker willfahrt, bemerkt jedoch, das Neonlicht beleuchte Kakteen, die ihm Fidel Castro verehrt habe.

Befremden über die Prozess-Posse von Moabit

Paradoxerweise blieb die DDR, die stets souverän tat, viel stärker auf die Bundesrepublik fixiert als diese, trotz Einheitsrhetorik, auf die DDR. So bis heute. Der Osten braucht den Westen, nicht umgekehrt. Norbert F. Pötzls Buch ist ein westdeutsches Werk. Es referiert seinen Gegenstand von außen; vielleicht auch deshalb ist der kühle Autor überaus fair. Honeckers Staat hat ihm wohl nichts angetan. Sein Befremden über die Prozess-Posse von Moabit mag Pötzl nicht verbergen. Er rahmt sein Werk mit Impressionen von Honeckers letztem Flug, ins chilenische Exil. Der Greis, umlagert, reagiert auf keinerlei Journalistenfrage. Aber dann: Pötzl naht und überreicht listig mitgeführte Fotos, „Erinnerungen an bessere Zeiten“, die er sodann mit Honecker betrachten darf. Erich spendet nostalgische Kommentare. Als aber ein Gorbi-Bild erscheint, betrübt sich sein Auge: „Das tun Sie lieber weg.“ Pötzl (kniet er?) fühlsam: „Sitzt Ihre Abneigung so tief?“ Honecker winkt verächtlich ab, und unser Mann freut sich kindlich seiner kleinen Exklusivität, des einzigen Gesprächs, das er je mit Honecker hatte. Das ist süß, ein zartes afterglow der staatsmännischen Aura des E. H.

Sie passten zueinander – Honecker und sein Staat

Jede Westretrospektive auf Honecker staunt, wie dieser intellektuell relativ limitierte Mensch an der Spitze eines Staates habe landen können. Das ist nicht erstaunlich gewesen. Honecker war machtbewusst und taktisch begabt, außerdem ein gläubiger Satrap der sowjetischen Siegermacht. Die Komplexität pluraler Gesellschaften kannte, empfand und vermisste er nicht. Er war so schlicht wie seine DDR, die ihm als Antwort auf die sozialen Fragen seiner Jugend galt. Sie passten zueinander, Erich und sein Staat, dessen kleiner Sonnenkönig er zu sein begehrte: Serenissimus, der gnädigste Herr. Vergleichsweise gnädig behandelt auch die Ost-Erinnerung den Gewesenen. Mehr Kleinbürger als Tyrann, überlebt Honi im Volksgefühl als „kommoder Diktator“, um Günter Grass’ Wort zu variieren. Er personifiziert das Wesen der DDR. Alles ging immer bergab, nur Erich feierte die Talfahrt, als rausche die marode Chaise den Höhen des Sozialismus zu.

Das authentischste Honecker-Buch stammt immer noch von zwei Ostlern, die wirklich mit Honecker gesprochen haben: Der Sturz von Reinhold Andert und Wolfgang Herzberg (1990), Unterhaltungen mit dem Gefallenen, der in Pastor Holmers Lobertaler Pfarrhaus hockte und die Welt nicht mehr verstand. Andert erzählte kürzlich, als ihm der greise Kleinbürger entgegenkam, habe er an seinen Vater denken müssen. Honecker fasste Vertrauen zu seinem Besucher und klagte ihm zum Schluss, er hätte ja sein Amt viel früher aufgegeben, wenn nicht sein Konprinz Werner Lamberz 1978 mit dem Hubschrauber abgestürzt wäre. Egon Krenz habe er die Führung nie recht zugetraut. Und dann: „Reinhold, wenn ich dich ’n bißchen eher kennengelernt hätte, da hättst du doch mein Nachfolger werden können.“ – „Das hat mich am meisten erschüttert“, sagt Andert. Der Honecker kannte einfach keine Menschen aus der DDR.

 

1-2-2003

Der aufhaltsame Aufstieg des Erich H.

Honecker war, wie wir ihn kannten. Und er war ganz anders. Norbert F. Pötzl zeigt neue Seiten

von Christian von Ditfurth

Norbert F. Pötzl:
Erich Honecker. Eine deutsche Biografie.
DVA, München.
384 S., 24,90 E.

Artikel erschienen am 1. Feb 2003

Wenige Monate vor seiner Entmachtung ließ SED-Generalsekretär Erich Honecker jedem Politbüromitglied eine braune Mappe überreichen. Die Mappen sollten bald zurückgegeben und dann vernichtet werden. Eine Mappe blieb erhalten im Parteiarchiv der SED.

Dort hat vor einigen Jahren der Zufall die Mappe auf meinen Tisch gelegt. Ihr Inhalt besteht aus Dokumenten, vor allem aus den Jahren 1970/71. Damals intrigierte das Politbüromitglied Honecker gegen Walter Ulbricht. In Moskau herrschte seit fünf Jahren der junge Leonid Breschnew. Die Blätter in der braunen Mappe zeigen, wie Honecker im Zusammenspiel mit Breschnew Ulbricht stürzte. Es sind Briefe, Beschlüsse und Gesprächsnotizen. Ohne Sowjetunion keine DDR – in diesen Satz presste Breschnew eine Wahrheit.

 
 

Ich erinnere mich meiner Aufregung, als ich die Seiten in der Mappe las. Warum hatte Honecker gerade diese Dokumente ausgewählt? Warum hatte er sie verteilen lassen? Warum sollten die Politbürokraten die Mappen zurückgeben, warum die Dokumente vernichtet werden? Ich fand keine Erklärung dafür zwischen den braunen Deckeln. Wie Empfänger der Mappe berichteten, erhielten auch sie keine Erläuterung. Was könnte die Verhältnisse im SED-Politbüro besser illustrieren als die Tatsache, dass keines seiner Mitglieder zu fragen wagte?

Nach einigem Überlegen verfiel ich auf die Idee, Erich Honecker wollte mit der Mappenaktion Egon Krenz und andere Spitzengenossen davor warnen, den Aufstand zu riskieren. Zeigten die Dokumente in der Mappe nicht, wie geschickt Honecker sich geschlagen hatte im Fraktionskampf? Zu dieser Auslegung neigten auch andere Historiker. Schließlich knisterte es längst im Gebälk der SED-Diktatur. Noch bedrohlicher sah es anderswo im sozialistischen Lager aus. In Polen kündigte sich die Legalisierung der SolidarnoÏæ an. In Ungarn war von „sozialistischem Pluralismus“ die Rede. In der Sowjetunion kämpfte Michail Gorbatschow für Perestroika und Glasnost. Es war längst klar: Auf Moskau war kein Verlass mehr.

Aber dies nicht erst seit dem Machtantritt Gorbatschows.

Das zeigt Spiegel-Redakteur Norbert F. Pötzl in seiner vorzüglichen Honecker-Biografie. Gestützt vor allem auf Zeitzeugenaussagen, schildert er die keineswegs eindeutige Beziehung zwischen der Sowjetunion und der DDR. Natürlich hatte Breschnew Recht. Die DDR hing an Moskaus Tropf, genauer: Honeckers Kurs der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ – kurz: die „Hauptaufgabe“ – war ohne Devisen nicht bezahlbar. Honecker versprach der Bevölkerung einen steigenden Lebensstandard, mehr und bessere Konsumgüter und die „Lösung der Wohnungsfrage“.

Bis zum Herbst 1981 schien Honeckers Rechnung aufzugehen. Der Generalsekretär beendete Ulbrichts Wirtschaftsexperimente, die dieser frevelhafterweise den Moskauern nachzuahmen empfohlen hatte. Auf Geheiß des großen Bruders strich der Saarländer Honecker die deutsche Nation aus der DDR-Verfassung. Gegen seine Überzeugung verteidigte er 1979 die Sowjetinvasion in Afghanistan.

Aber dann drehte Freund Breschnew den Ölhahn ein Stückchen zu: zwei Millionen Tonnen weniger. Und was die „Freunde“ lieferten, wurde teurer. Die DDR hatte mehr Erdöl aus der Sowjetunion erhalten, als sie brauchte, und dies zu einem Spottpreis. Mit dem Überschuss und den Produkten, die Werke der Petrochemie daraus herstellten, ließen sich im Westen gute Gewinne erzielen. Und mit den Devisen ließen sich Importe bezahlen: Kaffee und Bananen zum Beispiel. Ohne Westimporte keine „Hauptaufgabe“, ohne „Hauptaufgabe“ kein Honecker-Sozialismus. Um ihn zu retten, schmierten statt des Sowjetöls die von Franz Josef Strauß vermittelten Kredite aus der Bundesrepublik den Motor der DDR-Wirtschaft.

Noch dramatischer als der Ölverlust erwies sich aber der Erkenntnisgewinn: Böse Vorahnungen mögen die SED-Führer geängstigt haben, als Moskaus Emissär Konstantin Russakow Brest-Litowsk erwähnte, um das sowjetische Sparprogramm zu begründen: das Versailles Sowjetrusslands vom März 1918. Lenin hatte den deutschen „Raubfrieden“ gegen wütenden Widerstand durchgesetzt im ZK, die Bolschewiki standen mit dem Rücken an der Wand.

Das Zerwürfnis zwischen Moskau und Ostberlin beginnt also keineswegs mit Gorbatschows Machtantritt. Der erste Knacks ist Afghanistan, der zweite der russische Raketenwahn, eine Aufrüstung, die die Sowjetwirtschaft weiter zerrüttet und den Spielraum für Almosen an die Vasallen schließlich auf Null verringert. Pötzl zeigt, dass schon Mitte der achtziger Jahre in der KPdSU Zweifel keimten, ob man sich das sozialistische Lager noch lange werde leisten können. Die deutsche Einheit hat eine längere Geschichte, als manche es uns glauben lassen wollen. Diese Geschichte beginnt in Moskau.

Als Honecker dort auf Verständigung drängte mit dem Westen, hörte er Njet. Als er Mitte der achtziger Jahre in die Bundesrepublik reisen wollte, erklang das Njet aus dem Mund Gorbatschows. Im Oktober 1987 bezichtigte Gorbatschow Honecker der ideologischen Abweichung. Dem Kremlchef missfiel, dass SED und SPD ein gemeinsames Positionspapier verfasst hatten, in dem erklärt wurde, eine „offene Diskussion“ über Kapitalismus und Sozialismus müsse auch in der DDR möglich sein. Fast schien es, als komme Gorbatschow zu spät.

Der eitle Honecker ließ sich zu Hause gern von eigens für ihn gestrichenen Fassaden täuschen, umso genauer erkannte er die Menetekel im Sowjetland.

Folgt man Pötzl, dann wollte Honecker mit der braunen Mappe zeigen, dass Moskau schon immer nach Gutdünken mit der DDR umgesprungen sei. Schlussfolgerung: Die DDR sei auf sich allein gestellt, jetzt erst recht. Für diese Auslegung sprechen Honeckers Bemühungen, ab Mitte der achtziger Jahre mit der Bundesrepublik noch intensiver ins Geschäft zu kommen. Sogar von Föderation wurde unter der Hand geredet. Politbürokrat Alfred Neumann beklagte in seinen Memoiren gar, der Generalsekretär habe die DDR verkauft an die Bundesrepublik.

In seinem brillanten Bericht fügt Pötzl Widersprüchliches zu einem Bild zusammen. Er zeigt, wie ein durchschnittlicher Mann zu einem Parteiführer aufstieg und zu einem Staatsmann, an dessen Seite sich viele Herren aus Bonn gern fotografieren ließen. Er zeigt einen Mann, der Stalin nicht verurteilen mochte, aber die Todesstrafe verabscheute. Den beim Besuch im Saarland die Rührung ergriff und der prophezeite, die Mauer werde noch hundert Jahre bestehen. Honecker war, wie man ihn kannte. Aber in mancher Hinsicht war er anders.

 

N Z Z  Online

29-9-2003

Der Spiesser mit Machtinstinkt

Eine Biografie von Erich Honecker

Norbert F. Pötzl: Erich Honecker. Eine deutsche Biographie. DVA, Stuttgart und München 2002. 384 S., Fr. 43.50, EUR 25.-.

Neue Zürcher Zeitung, 29. September 2003, Ressort Politische Literatur

Helmut Schmidt sagte einmal über Erich Honecker: «Mir ist nie klar geworden, wie dieser mittelmässige Mann sich an der Spitze des Politbüros so lange hat halten können.» Dieser Frage geht auch der «Spiegel»-Journalist Norbert F. Pötzl in seiner Biografie von Honecker nach. Er liefert einige Antworten; wie der intellektuell von seinem Amt überforderte und rhetorisch limitierte ehemalige Dachdeckergehilfe in der DDR an die Macht kommen und sich dort von 1971 bis 1989 halten konnte, bleibt dennoch teilweise ein Rätsel.

Widerstand - Haft - Aufstieg

Der 1912 im Saarland geborene Honecker wurde von seinem Vater bereits mit zehn Jahren in die kommunistische Kindergruppe geschickt. 1933 schloss er sich im Ruhrgebiet dem Widerstand gegen die Nazis an. 1935 verhaftet, war er bis 1945 im Zuchthaus. Nach dem Krieg wurde Honecker von Ulbricht mit dem Aufbau der Jugendorganisation FDJ betraut. Als 1953 eine Mehrheit im SED-Politbüro gegen den Parteichef aufbegehrte, stand Honecker zu ihm. Wäre nicht am folgenden Tag der Arbeiteraufstand dazwischengekommen, wäre er mit Ulbricht untergegangen. 1956 wurde er ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen. Er war es, der den Bau der Berliner Mauer plante und überwachte und 1961 den Befehl gab, gegen «Verräter und Grenzverletzer» die Schusswaffe anzuwenden.

Ab 1963 sägte Honecker an Ulbrichts Stuhl. Ein Jagdausflug mit Breschnew bei dessen Besuch in der DDR war 1964 der Beginn einer fast zwei Jahrzehnte dauernden Freundschaft. Als die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition in Bonn 1970 Bewegung in die deutsche Frage brachte, griff Honecker mit Breschnews Rückendeckung Ulbrichts Deutschland-Politik an. Darauf setzte dieser den Zweiten ZK-Sekretär ab. Doch Breschnew erzwang die Rücknahme des Entscheids. Nach vernichtender Kritik von Willi Stoph und Paul Verner an Ulbrichts Wirtschaftspolitik forderte Honecker in einem von der Mehrheit des Politbüros unterzeichneten Brief an Breschnew die Ablösung Ulbrichts, der einige Monate später abdankte. Honecker trat an seine Stelle.

Abkehr von zaghaften Reformen

Laut Pötzl beruhte Honeckers Macht auf der von Günter Mittag geleiteten Wirtschafts- und Sozialpolitik, auf dem Staatssicherheitsdienst von Erich Mielke und auf der Propaganda unter Leitung von Joachim Herrmann. Nach vier Monaten im Amt feierte Honecker einen aussenpolitischen Erfolg, als die Westmächte erstmals «in völkerrechtlich gültiger Form die Existenz der DDR als eines souveränen Staates» anerkannten (Honecker). Ende 1971 kündigte er einen kulturellen Frühling an. Doch bereits Ende 1976 war der Aufbruch vorbei, als der Liedermacher Wolf Biermann nach einem Konzert in Köln ausgebürgert wurde. Laut Pötzl war dies der «grösste taktische Fehler». Es kam zum endgültigen Bruch zwischen den Intellektuellen und der Partei.

Bald verlor Honecker den Sinn für die wirtschaftlichen Realitäten. Er liess sich von Günter Mittag einreden, die volkseigenen Betriebe müssten zu riesigen Wirtschaftskombinaten umorganisiert werden. Aus 3500 Industriebetrieben machte Mittag 250 Monopolunternehmen. Die flexiblen Klein- und Mittelbetriebe verschwanden. Um das Wohlstandsgefälle zur Bundesrepublik, deren Lebensstandard die DDR-Bürger täglich im Westfernsehen bestaunen konnten, zu mildern, wurden Verbraucherpreise, Aufenthalte in staatlichen Ferienheimen und soziale Dienstleistungen subventioniert. Die «Arbeiterschliessfächer» und «Schnarchsilos» entstanden. - Die Fleisch- und Butterproduktion war ein blühender Wirtschaftszweig, bis der zuständige ZK-Sekretär Gerhard Grüneberg mit Honeckers Unterstützung die Landwirtschaft mit brachialer Gewalt industrialisieren wollte. Einzig Grünebergs Tod 1981 bewahrte sie vor dem totalen Zusammenbruch. Der bescheidene Wohlstand liess Ansprüche entstehen, die sich nicht zurückdrehen liessen. Ein Versorgungsengpass jagte den anderen, weil Honecker die Reformen der sechziger Jahre mit ihren marktwirtschaftlichen Ansätzen beendet hatte.

Westpolitik und Spannungen mit Moskau

Nach dem Regierungswechsel in Bonn knüpfte die SPD Kontakte zur SED. Aus Gesprächen der SPD-Grundwertekommission mit Vertretern der ostdeutschen Akademie für Gesellschaftswissenschaften entstand das 1987 publizierte Papier «Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit». Es stipulierte, dass «beide Systeme reformfähig sind und der Wettbewerb der Systeme den Willen zur Reform auf beiden Seiten stärkt». Der «Reformer» Gorbatschew missbilligte das Papier, während der «Betonkopf» Honecker einen Schritt nach vorn gewagt hatte. Aus der erwarteten Öffnung wurde allerdings nichts. Verhärtungen, Verhaftungen und Beschlagnahmungen folgten, doch die Sache war bereits im Fluss.

Honeckers Freundschaft mit der Sowjetunion hatte lange vor der Entzweiung mit Gorbatschew über dessen Reformen Risse bekommen. Der SED-Chef war über Moskaus Alleingang in Afghanistan empört. Zudem kürzte 1981 die UdSSR die Öllieferungen und erpresste damit später die Nichtteilnahme der DDR an den Olympischen Spielen in Los Angeles. Die Beziehungen belastete auch, dass Honecker in der Nachrüstungsdebatte keinen Unterschied zwischen amerikanischen und sowjetischen Waffensystemen machte. Als er aus finanziellen und politischen Gründen Fühler nach Westdeutschland ausstreckte, drohte ihm der neue Kreml-Chef Tschernenko gar mit der Absetzung. Doch als Bundespräsident von Weizsäckers Staatsbesuch 1987 in der Sowjetunion ein Tauwetter zwischen Bonn und Moskau andeutete, setzte Honecker seinen Reiseplan ohne Rücksprache mit Gorbatschew um. Laut Pötzl war der Empfang mit militärischen Ehren 1987 in Bonn durch Kanzler Kohl der Höhepunkt seiner politischen Karriere.

1987 war auch das Jahr, in dem Daschitschew im Moskauer Aussenministerium für eine umfassende Kooperation mit dem Westen plädierte, auch wenn dafür der separate ostdeutsche Staat geopfert werden müsse. Dies war nach Pötzl der Beginn einer neuen Deutschland-Politik. - In der Endphase der DDR war Honecker gesundheitlich angeschlagen. Nach Einschätzung von Franz Bertele, dem Vertreter der Bundesrepublik in der DDR, hätte Honecker sonst «den Sozialismus mit der Waffe verteidigen lassen». So jedoch wurde der altersstarre Honecker von Politbüro und ZK seiner Ämter enthoben. Todkrank konnte er im Januar 1993 ins chilenische Exil fliegen, wo er am 29. Mai 1994 verstarb.

Pötzls Biografie ist nicht erschöpfend. So leuchtet er die dunklen Seiten der DDR-Diktatur nicht bis ins letzte Detail aus. Seine Darstellung ist differenziert, erscheint aber als zu milde. Sie beruht auf der Literatur und der Befragung von Zeitzeugen, wobei die Aussagen ehemaliger DDR-Funktionäre teilweise mit Vorsicht zu geniessen sind. Dem Anmerkungsapparat ist zu entnehmen, dass Pötzl nicht in Archiven recherchiert hat. Dennoch ist sein faktenreiches und leicht zu lesendes Werk allen zu empfehlen, die sich mit Honecker und dem letzten Unrechtsstaat auf deutschem Boden auseinandersetzen wollen.

Louis Gerber

 

Spiegel Special (4/2002)

Wie ein Unbegabter zur Macht kam

Kann man heute, 13 Jahre nach Honeckers Sturz, schon eine Honecker-Biografie schreiben? Man kann. Norbert Pötzl hat es bewiesen: "Erich Honecker. Eine deutsche Biografie." Es wird nicht die letzte sein, aber ein verdienstvoller Anfang ist gemacht. Neben dem allgemein zugänglichen Material bezieht sich Pötzl auf seine Befragungen von Zeitzeugen, die mit Honecker persönlich zu tun hatten, halb Ost, halb West. Denn es ist besonders schwer, hinter Honeckers maskenhaftem Auftreten etwas von der Persönlichkeit zu entdecken.

"Die Frage drängt sich auf: Wie konnte ein äußerlich so unscheinbarer Mensch, ein intellektuell überforderter und rhetorisch unbegabter Politiker die Machtfülle, die er besaß, erringen und über so viele Jahre erhalten?" Pötzl beantwortet diese Frage implizit, in einem Gang durch die Geschichte der DDR, die in Geschichten lebendig wird, von denen wir DDR-Bürger damals nichts wussten. Denn das gehört zu den von außen schwer nachvollziehbaren Besonderheiten einer Diktatur: Ihr Innenleben entzieht sich weitestgehend den Beherrschten, weil es keine Öffentlichkeit gibt. Was wir vom Spiel hinter den Kulissen wussten, hatten wir zumeist aus den Westmedien erfahren. Übrigens: Vor 1945 kannte kaum jemand in Deutschland das Wort Auschwitz.

Nach der Lektüre würde ich Pötzls Frage so beantworten: Um seine Machtfülle zu erlangen, musste Honecker zum kommunistischen Adel gehören, sprich altgedienter Funktionär sein, einen Ziehvater haben, das war Ulbricht, und diesen mit dem Segen der sowjetischen Führung und der Mehrheit im Politbüro entmachten. Der letzte Akt vollzog sich so, dass Honecker seinen Personenschutz mit Maschinenpistolen ausstattete, zu Ulbrichts Datsche fuhr, dessen Telefonverbindungen kappen und ihn sein Rücktrittsgesuch unterschreiben ließ. Den Segen der sowjetischen Führung erlangte er, indem er Ulbricht eine liberale Kultur- und Wirtschaftspolitik sowie deutschlandpolitische Alleingänge vorwarf. Pikant daran ist, dass Honecker sich später mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert sah.

Wie es Honecker gelang, seine Machtfülle zu erhalten, ist schwerer zu beschreiben. Wenn irgendwo, haben wir naiven DDR-Bürger gemeint, dann müssten doch im Politbüro die politischen Grundfragen diskutiert und entschieden werden. Auch Pötzl bestätigt: So war das nicht. Abgestimmt wurde selten und diskutiert noch seltener, und wenn es einmal zu einer Kontroverse kam, wurde das sofort in Moskau als außergewöhnlich erachtet. Als Ebert aus Alters- und Gesundheitsgründen aus dem Politbüro ausscheiden wollte, hat ihm Honecker das wegen befürchteter Nachahmung untersagt. Das feudal-aristokratische Prinzip der Amtszeit auf Lebenszeit musste zwangsläufig zur Gerontokratie führen. Und Widerspruch war gefährlich, weil, wer in Ungnade fiel, sämtliche Privilegien verlor. Und so kam, was kommen musste: Honecker nahm die DDR-Realitäten einfach nicht mehr wahr. Anfangs war ihm noch bewusst, dass er von Ökonomie nichts versteht. Schließlich hielt er sich für einen Fachmann. "In Ökonomie macht mir keiner was vor." Nicht dass es an warnenden Stimmen vor dem ökonomischen Desaster gefehlt hätte, in das die DDR steuerte, indem sie die "sozialpolitischen Maßnahmen" mit Devisen bezahlte. Für die acht Milliarden Mark aus dem Häftlingsfreikauf wurden Südfrüchte, Schuhe, Textilien gekauft ­ sozialistischer Kannibalismus. Schließlich brauchte die DDR Westkredite, um die Westkredite zu bedienen. Als Stoph 1982 einschneidende Maßnahmen forderte, war Honeckers Antwort: "Die Worte über einschneidende Maßnahmen wollen wir hier nie wieder hören." Ein anderes Mal: "Die Berichte der Staatssicherheit sehe ich mir gar nicht mehr an. Da kann ich mir ebenso gut das westliche Fernsehen ansehen."

Honecker ein doofer Trottel? Das stimmt auch wieder nicht. Honecker hat es fertig gebracht, die deutsch-deutschen Beziehungen gegen kritische Stimmen aus der Sowjetunion auszubauen. Dabei spielte Herbert Wehner eine besondere Rolle. Aus gemeinsamen kommunistischen Zeiten im Saarland vor dessen Anschluss ans Reich behielt Honecker trotz Wehners Frontwechsel eine herzliche, geradezu bewundernde Beziehung zu ihm. 1973 fragt er ihn: "Muss denn immer alles über die großen Brüder laufen?", und siehe da, über Wehner und Honeckers Sonderbeauftragten Wolfgang Vogel ließen sich von da ab viele humanitäre Fälle regeln, bei denen der auf die Sowjetunion fixierte Egon Bahr nichts erreicht hatte.

Aus solchen Gründen ist der von Pötzl gewählte Untertitel: "Eine deutsche Biografie" berechtigt. Nicht dass Honecker ein Vorkämpfer der deutschen Einheit gewesen wäre. Kapitalismus und Sozialismus vertrügen sich wie Feuer und Wasser, hat er gesagt, und noch 1989 erklärt, die Mauer werde noch 50 oder 100 Jahre stehen, wenn es sein muss. Das "Deutsche" an Honecker war subtiler. Da war etwas Sentimentales im Spiel. Pötzl nennt es seine Saartümelei, die Honecker beim lang ersehnten Besuch in Westdeutschland in seiner Heimatstadt vom Redetext abweichend von den Grenzen reden ließ, die uns einmal nicht mehr trennen, sondern vereinen. Und da war dieser Hunger nach Anerkennung, nicht durch irgendjemanden, sondern durch den anderen deutschen Staat und durch die SPD, der Anerkennungswunsch eines Deklassierten.

Wenn man sich an Honeckers Sturz erinnert, kommt zu Recht Mitleid auf. Wie ihm der Übereifer der Genossen Staatsanwälte Anfang 1990 mitgespielt hat ­ von seinem Nierenkrebs erfuhr er aus der "Aktuellen Kamera", und im Krankenhaus musste er den Arzt um eine Tasse Kaffee bitten, weil seine Konten gesperrt waren; nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus fand er keine Wohnung, bis ein Pfarrer ihn aufnahm ­ und wie er mit einer gefälschten Diagnose aus der Sowjetunion nach Deutschland abgeschoben wurde, das ist beschämend. Auch die gesamtdeutsche Justiz hat erst in Gestalt des Berliner Verfassungsgerichts der Wahrheit die Ehre gegeben: Der Mann überlebt seinen Prozess nicht mehr, also Schluss mit der Strafverfolgung. Da war Honecker Opfer. Aber Opfer sind nicht deshalb edel.

Honecker wusste immer ganz genau, was an der Grenze passierte. Einmal hat er selbst das Wort "Schießbefehl" in den Mund genommen. Und als 1980 in Moskau über eine militärische Intervention in Polen beraten wurde, hatte er in seinem Redetext stehen, Blutvergießen sei das letzte Mittel, aber "wenn die Arbeiter- und Bauernmacht auf dem Spiele steht", dann bleibe keine andere Wahl. Den Passus strich er aus seiner Rede, als er merkte, dass die anderen kommunistischen Führer nicht mitzogen. Am 8. Oktober 1989 hatte er die Idee, Panzer durch Leipzig rollen zu lassen, bloß zur Abschreckung. Er ließ sich die Idee ausreden. So war er eben. Manchmal war er nur aus Schwäche human. Besser als umgekehrt ­ für uns.

 

Dresdner Blätt´l

 Nummer 18 vom 17. November 2000

Kulturseite Dresdner Blätt’l

„Anmerkungen zu Honecker" von Henrik Eberle, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2000

Eine Biografie über den Menschen, Parteifunktionär und Politiker Erich Honecker stand bisher noch aus, wenn man von „selbst"verfassten und entsprechend gefärbten Werken wie „Aus meinem Leben" absieht. Dabei waren die letzten achtzehn Jahre der DDR nicht nur geprägt von, sondern beinahe identisch mit der Person Erich Honecker. Das nun vorliegende Buch, bescheiden als „Anmerkungen" tituliert, vermag diese Lücke aber nur teilweise zu schließen. Das ist insofern enttäuschend, als der Autor bereits mit „Einverstanden E.H.", Briefe, Akten und Hausmitteilungen aus der Honecker-Ära (ebenfalls Schwarzkopf & Schwarzkopf), ein Zeitdokument zum Politiker Erich Honecker vorgelegt hat.

Wir erfahren, faktisch aneinandergereiht, den politischen Werdegang Erich Honeckers: vom frühen Jugendfunktionär der KPD, der Haft in Brandenburg-Görden, sein Aufstieg zum FDJ-Vorsitzenden, Mitglied des Zentralkomitees, des Politbüros, schließlich erster Sekretär bzw. Generalsekretär und seit 1976 auch Staatsratsvorsitzender. Der Autor erläutert manche Begebenheit und nennt manche Konflikte (z.B. mit dem Wirtschaftsfunktionär Erich Apel in den 60er Jahren) und legt überzeugend dar, wie es Honecker verstand, mit einer Mischung aus Ausschalten mißliebiger Konkurrenten und Korrumpieren erwünschter Mitstreiter seine Herrschaft zu sichern, gleichzeitig aber Stillstand im Land zu produzieren.

Bei all dem erfährt man aber wenig über Honeckers politische Umgebung und seine Motive in vielen Situationen: Was fand neben ihm statt, wer zog welche Fäden. Die Ablösung Ulbrichts, an der Honecker ganz maßgeblich beteiligt war, wird in wenigen Zeilen abgehandelt. Warum erhob sich kein Widerspruch von Wirtschaftsfunktionären, obwohl die DDR seit Anfang der 70er Jahre begann, über ihre Verhältnisse zu leben und zum Schluß sehenden Auges in den Untergang lief.

Andererseits gibt es eine beinahe ermüdende Aufzählung aller Orden und Auszeichnungen, die Honecker in der DDR und aus dem Ausland erhielt. Auch weitere Unkorrektheiten und Ungereimtheiten fallen dem aufmerksamen Leser auf. Beispielsweise verwendet der Autor den Begriff „Westdeutschland" für Vorgänge in den 70er Jahren, als die DDR längst zur offiziellen Staatsbezeichnung „Bundesrepublik Deutschland" übergegangen war; und die einzige Teilnahme der DDR an einer Fußball-Weltmeisterschaft war 1974 und nicht 1972.

Trotz dieser Mängel kann das Buch empfohlen werden, vor allem der Generation der unter 20- bis 30-Jährigen, die nur noch vage Erinnerungen an Honecker haben. Denn es ist nicht nur ein Buch übe"0eine Person, sondern auch über die Zementierung eines politischen Irrweges, woraus man gar nicht genug lernen kann.

Henning Bösherz

  

 

Frankfurter Buchmesse 2001

MACHT

DDR in der Urne

Thomas Kunze erzählt die Tragödie des gestürzten Erich Honecker

Von Christoph  Dieckmann

Thomas Kunze : Staatschef a. D. Die letzten Jahre des Erich Honecker; Ch. Links Verlag, Berlin 2001;
222 S., 38,– DM

Post aus Chile! Margot Honecker hat geschrieben und dem Historiker Thomas Kunze „gutes Gelingen“ gewünscht für dessen Plan, die letzten Lebensjahre ihres Gatten in ein Buch zu binden. Natürlich sei es schwierig, mit „geringem historischem Abstand zu objektiven Schilderungen oder gar Wertungen zu kommen“. Eins vorweg: Frau Margots Wünschen hat geholfen. Staatschef a. D. ist eine gediegene Schmelze aus Biografie und analytischer Chronik. Was den Abstand betrifft: Die DDR umgibt schon Dämmerung, und da beginnt, laut Hegel, die Eule der Minerva ihren Flug.

Das Faszinierendste an Erich Honecker ist sein Sturz. In der Person des SED-Chefs kulminierte das Regime, seine Macht, Logik, Absurdität, sein Deutschtum, seine Mittelmäßigkeit. Anhand von Honeckers Demontage lässt sich der gesamte ostdeutsche Übergang erzählen, die staatsparteiliche Ignoranz der Massenflucht, dann das Rette-sich-wer-kann der SED, Volkszorn und Mitläuferscham, Rachegelüste, schließlich der bundesrepublikanische Versuch, die ostdeutsche Vergangenheit mit dem Strafgesetzbuch zu kurieren. Dazu brauchte man den Angeklagten Honecker.

Thomas Kunze, Ostler vom Jahrgang 1963, ist ein gelassener Chronist. Er versammelt die Fakten, er lässt Zeitungen sprechen, er reproduziert die Stimmungen erlebter Geschichte. Der Subtext der Lektüre erneuert das beklemmende Gefühl, der Gestürzte sei entwürdigend behandelt worden. Honecker an die Laterne – wenige verlangten das. Viel mehr wünschten sich den Todkranken aus den Augen, aus dem Sinn – nach Chile oder in sonst ein Exil seiner letzten Tage. Die Meinungen über Honecker waren Seelenspiegel. Die am wenigsten Rache brauchten, hatten sich am besten von der Diktatur befreit.

Rache? Recht! Wie sollte man Mauerschützen richten, wenn die Schießbefehlsgeber ungeschoren blieben? Aber Honeckers Prozess geriet zur Posse. Richter Bräutigam bat den Angeklagten um ein Autogramm. Nebenkläger Plöger, eine Eitelblase, hielt Mörder H. für dessen Doppelgänger und diagnostizierte Leberkrebs zum Bandwurm um. Honecker selbst hielt die beste Rede seines Lebens, eine Tour d’Horizon von der kommunistischen Welthoffnung bis zu den bundesrepublikanischen Naziwurzeln. Der Siegerjustiz beschied er: „Tun Sie, was Sie nicht lassen können!“

Das Ostvolk ignorierte die Farce von Moabit großenteils als Westprozess. Kunze notiert schlicht: „Es findet sich in Deutschland kein Politiker, der in der Lage wäre, dem unwürdigen Spektakel um den kranken Greis ein Ende zu setzen.“ Dabei vergisst der Autor keineswegs, dass Honeckers eigene Genossen als Erste zur Jagd auf den Sündenbock bliesen. Die PDS stieß ihn aus der flugs gewendeten Partei. SED-Staatsanwalt Reuter empfand es als „wissenschaftliche Herausforderung“, Honecker des Hochverrats anzuklagen. So begann dessen Odyssee, von Pastor Holmers Dachgeschoss über Moskau und Moabit nach Chile. Am 29. Mai 1994 ist er in Santiago gestorben. Seine Urne steht auf Margot Honeckers Vitrine.

Man beendet Thomas Kunzes Buch mit dem Gefühl, Erich sei genug bestraft.

taz Nr. 6714 vom 2.4.2002, Seite 14, 147 Zeilen (Kommentar),

HEIKO HÄNSEL

Jan N. Lorenzen: "Erich Honecker. Eine Biographie", 234 Seiten, rororo, Hamburg 2001 

Thomas Kunze: "Staatschef a. D. Die letzten Jahre des Erich Honecker", 224 Seiten, Christoph Links Verlag, Berlin 2001

Leben ohne Ochs und Esel

Jan Lorenzen und Thomas Kunze erzählen erstmals ausführlich von einem einst talentierten Rhetoriker und Reformer, der ein ganzes Land ruinierte: Erich Honecker

Es ist schon verwunderlich: Seit dem Zusammenbruch der DDR hat sich niemand zu einer Biografie von Erich Honecker aufgerafft. Die Historiker interessieren sich bislang kaum für den einst allmächtigen "Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR", sie erforschen lieber das Leben seines Staatssicherheitsministers Erich Mielke - und liefern so einen schönen Beleg für das Stasi-Syndrom der gesamten DDR-Geschichtsschreibung.

Jan N. Lorenzen, Autor des Fernseh-Dokudramas "Die Sekretäre", zeichnet nun Honeckers Lebensweg zum ersten Mal umfänglich nach. Der Spießer von Wandlitz ist bei ihm, was er war: ein deutscher Kommunist - bereits im heimatlichen Wiebelskirchen (Saarland) ideologisiert und für immer milieugeschädigt. Honecker gilt früh als begabter Rhetoriker und wird dementsprechend nicht Dachdecker, sondern hauptamtlicher KPD-Funktionär. 1935 erwischt ihn die Gestapo bei der konspirativen Arbeit. Er hat Glück und muss "nur" zehn Jahre im Zuchthaus Brandenburg einsitzen.

 
 

Gleich nach der Befreiung stößt Honecker im Mai 1945 zur Gruppe um Walter Ulbricht, die den staatlichen Neuaufbau nach dem Motto organisiert: "Alles muss demokratisch aussehen, aber an den wichtigen Stellen müssen unsere Leute sitzen." In diesem Sinne gründet Honecker eine Jugendorganisation, die Freie Deutsche Jugend (FDJ), und agiert bis 1989 im Machtzentrum der deutschen Moskowiter. 1946 wird er Mitglied des SED-Parteivorstandes, ab 1958 Vollmitglied des Politbüros. Als ZK-Sekretär für Sicherheit erhält er schließlich eine welthistorische Aufgabe: Er leitet 1961 den Organisationsstab für den Berliner Mauerbau.

Zehn Jahre später stürzt er seinen Ziehvater Ulbricht und erreicht mit seinem Programm der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" in den Siebzigerjahren eine deutliche Steigerung des Lebensstandards. Der Nachteil: Wirtschaftlich führt es das rote Preußen in den Ruin. Denn nicht nur die Nettoeinkommen verdoppeln sich in der Honecker-Ära, auch der Personalbestand des Stasi-Ministeriums.

Lorenzens biografischer Abriss ist eine solide Gesamtdarstellung. Sie beruht allerdings ausschließlich auf Sekundärliteratur. Völlig unverständlich ist, warum der Autor die reichhaltigen Materialien, die das SED-Parteiarchiv und die Birthler-Behörde bieten, nicht genutzt hat. Ebenso betrachtet das Buch kaum die Wirkung von Honeckers Politik auf den DDR-Alltag. Immerhin sagten nicht nur viele DDR-Bürger "Das schreib ich an Honecker", sie machten es auch zu Zehntausenden.

Wie nützlich ein Blick in die Archive sein kann, zeigt Thomas Kunzes anschauliches Buch über Honeckers Schicksal nach 1989. Der Leipziger Autor hat die Abwahl des SED-Chefs in Politbüro und ZK anhand der Akten mustergültig rekonstruiert. Auch skizziert er das Erschrecken der DDR-Bürger über ihren gestürzten Herrscher: Was Honecker zu den Entwicklungen im Lande während der Wendezeit sagte, war banal und dumm; er schien offenkundig außer Stande, die Ereignisse intellektuell zu verarbeiten. Für viele war der Greis nicht mehr satisfaktionsfähig, weder moralisch noch juristisch. Seinen Rückzug von Lobetal über Beelitz, Moskau, Berlin nach Santiago de Chile wurde nur noch am Rande wahrgenommen.

Grundthema Kunzes ist allerdings die Strafverfolgung. Sie beginnt als Farce: Ehemalige SED-Staatsanwälte und die Stasi ermitteln seit Januar 1990 wegen "Hochverrats" gegen Honecker. Erst die bundesdeutschen Behörden können eine einigermaßen plausible Anklage formulieren. Honecker wird wegen der Mauertoten angeklagt, in seiner an sich wenig bedeutsamen dritten Staatsfunktion: als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates. Wie auch die damaligen Beobachter ist Thomas Kunze skeptisch, ob die Anwendung der Menschenrechtscharta eine hinreichende Grundlage für den Prozess war. Das spielt letztlich jedoch keine Rolle, da Honecker im Januar 1993 aus gesundheitlichen Gründen ins Exil entlassen wird. Das alles zeichnet Kunze kundig nach und hat damit Maßstäbe für die noch ausstehende große Honecker-Biografie gesetzt."

HEIKO HÄNSEL

 

Neues Deutschland

ND vom 29.08.03

Politisches Buch
Verständnisvoll, aber ungenau
Erich Honecker – eine Biografie über Verantwortung und Versagen 

Von Günter Benser 

Ulrich Völklein: Honecker. Aufbau Verlag, Berlin 2003. 468S., br., 12,50 EUR.

Nun hat auch der Aufbau Verlag sein Honecker-Buch herausgebracht – wie schon andere Verlage vor ihm mit dem Anspruch einer »ersten umfassenden« Biografie. Auch diesmal ist der Autor kein Historiker, sondern ein Journalist. Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch wenn sich Ulrich Völklein eines gründlichen Aktenstudiums rühmt, kommt Skepsis auf. In Berlin-Lichterfelde, wo der Nachlass Honeckers und die Akten seines Büros aufbewahrt werden, ist er nicht als eifriger Benutzer aufgefallen, und statt Archivsignaturen bietet er meist nur Verweise aufs »Archiv des Autors«.
Dabei beginnt das Buch ganz verheißungsvoll, denn die anschauliche Schilderung der Lebensumstände und Lebensstationen Erich Honeckers von seiner Geburt 1912 bis zur Befreiung 1945 bringt zwar nichts Neues, ist aber einfühlsam und mit Verständnis für einen aus kommunistischem Elternhaus stammenden Arbeitersohn und heranwachsenden KJVD- und KPD-Funktionär, auch mit Respekt vor dessen Standhaftigkeit geschrieben. Honecker wird nicht seine idealistisch-dogmatische Weltsicht vorgehalten, sondern, dass er seine Wissenslücken »auch später nicht schloss, als es ihm möglich war, jedenfalls eine etwaige neue Sicht der Dinge niemandem gegenüber zu erkennen gab, das ist Teil seiner Verantwortung und seines Versagens«. In einem speziellen Exkurs zu Herbert Wehner und Honecker wird die bedenkenswerte Hypothese aufgestellt, dass letzterer – hätte er im sowjetischen Exil ähnliche Erfahrungen sammeln müssen wie Wehner – vielleicht seinem geschätzten politischen Mentor auf dessen Weg gefolgt wäre. Auch weist Völklein die von Monika Kaiser 1990 der Staatsanwaltschaft zugearbeiteten und seither durch die Literatur geisternden Anschuldigungen bezüglich der Umstände von Honeckers Verhaftung, seines Auftretens im Ermittlungsverfahren und im Strafprozess sowie seines Verhaltens im Zuchthaus Brandenburg-Görden nach gebührender Prüfung zurück.
Was jedoch dann für die Jahre 1945 bis 1955 folgt, verdient die Bezeichnung Biografie nicht. Das ist eine auf westlichen DDR-Interpreten fußende, in ihrer Einseitigkeit fragwürdige Skizze der Geschichte der SED und der DDR mit gelegentlichen – großteils auf Heinz Lippmann gestützten – Einblendungen zur Person Honecker. Eingehendes Studium der üppig überlieferten Quellen und vergleichende Einordnung der Aktivitäten Honeckers in die politischen Führungsprozesse in der SBZ und der DDR hätten den Autor davor bewahren können, die politische Rolle Honeckers zu früh hoch zu puschen. Angeblich habe er auf dem II. Parlament der FDJ im Mai 1947 als »Sprachrohr« der Sowjets deren deutschlandpolitische Linie verkündet und sei so »in die erste Reihe der ostdeutschen Politprominenz aufgerückt«; ab 1950 wird er schon dem »engsten Kreis der Macht« zugerechnet. Zur Leichtfertigkeit im Urteil passt der unbedarfte Umgang mit Fakten. Da wird die 1938 erschienene »Geschichte der KPdSU(B) – Kurzer Lehrgang« mit Honeckers Studium an der Lenin-Schule 1930/31 in Verbindung gebracht (S. 75). Die erste Funktionärskonferenz der KPD wird vom 25. auf den 27. Juni und aus dem Colosseum ins Metropol-Theater verlegt (S. 187). Obwohl seit 1996 der originalgetreue Nachdruck des Protokolls der Reichskonferenz der KPD vom März 1946 vorliegt, wird erneut die von Honecker gepflegte Version kolportiert, er sei auf dieser Konferenz ins ZK der KPD gewählt worden (S. 217). Hier wurde aber gar kein Zentralkomitee gewählt, und Honecker hat nie einem KPD-ZK als gewähltes Mitglied angehört. Später schreibt der Autor von dem »dem Zentralkomitee der SED vergleichbaren Obersten Sowjet« (325). Die Liste solcher Peinlichkeiten stellt auch dem Lektorat kein gutes Zeugnis aus.
Erst ab 1956 tritt im Text Biografisches wieder etwas stärker hervor, allerdings eingeschrumpft auf jene Eckpunkte, von denen die heute dominierende Sicht auf die Geschichte der DDR in monotoner Vereinseitigung und meist von hinten aufgezäumt einträchtig zehrt: XX. Parteitag der KPdSU und seine Folgen, Mauerbau, Intervention in der CSSR, Ablösung Ulbrichts durch Honecker. Wenn der Autor in diesen Zusammenhängen Honecker als einen starren, mehr und mehr selbst an die Spitze der Macht drängenden Hardliner beschreibt, liegt er gewiss richtig. Dazwischen indes herrscht Öde. Selbst die gängigen Verweise auf Ehe, Kinder, Enkel sucht man bei Völklein vergebens.
Den Kalten Krieg hat es offenbar so richtig nicht gegeben. Vergleichsweise positiv wird vom Autor Honeckers Startphase als Generalsekretär beurteilt, vor allem die vom VIII. Parteitag der SED ausgehenden Impulse. Die mit der von Honecker initiierten »Einheit von Wirtschaft und Sozialpolitik« verbundenen Verbesserungen des Lebensstandards der DDR-Bevölkerung werden ebenso wahrgenommen wie der Durchbruch in der internationalen Anerkennung der DDR und Honeckers ablehnende Haltung zur Raketenstationierung auf deutschem Boden. Da reimt sich manches mit dem vorher gezeichneten Honecker-Bild so recht nicht zusammen, wofür der Autor eine Erklärung schuldig bleibt. Zustimmung verdient, wenn festgestellt wird, dass auch schon damals erkennbare gesellschaftliche Widersprüche von Honecker mitunter benannt, aber nicht wirklich angegangen worden sind. Wie zu erwarten, bildet in diesem Abschnitt das Verhältnis DDR-BRD das zentrale Thema. Dabei werden ausführlich und sicher auch absichtsvoll die Beziehungen Gerhard Schröders zur DDR gerechtfertigt und die Kontakte Oskar Lafontaines ins Zwielicht gerückt.
Was dann unter den Überschriften »Der Sturz« und »Das Ende« berichtet wird, ist wiederholt dargestellt worden. Völklein eröffnet seine Schilderung mit einer Wertung, der beizupflichten ist: Es gab zu Beginn der zweiten Hälfte der 80er Jahre noch Spielräume für die DDR. »Honecker hätte also gekonnt, wenn er nur gewollt hätte«. Bekanntlich endete Honeckers Lebensweg vor dem Strafgericht und im Exil. Vor Völklein hatten anderer Autor von einem »burlesken Prozess« gesprochen, an dessen Ende die Justiz vor einem »Scherbenhaufen« stand. Wer möchte, könnte das auch bei Völklein herauslesen, aber klare Worte sind seine Sache nicht.
Eines fünften und sechsten Honecker-Porträts solchen Kalibers bedarf es nicht mehr, wohl aber einer alle einschlägigen Quellen ausschöpfenden und Urteile überprüfenden wissenschaftlichen Biografie.